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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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gekommen war. Sie flüsterten hinter meinem Rücken. Sie erzählten auf dem Schulhof Geschichten über mich, zwinkerten sich verschwörerisch zu und stießen sich im Umkleideraum heimlich mit dem Ellbogen an. Und ich schwieg zu alldem, weil alles, was sie tuschelten, der Wahrheit entsprach. Ein Opfer zu sein ist eine Einbahnstraße, Annabelle. Man ist und bleibt auf dieser Schiene – niemand lässt zu, dass man in die andere Richtung fährt.«
    »Das stimmt nicht«, widersprach ich. »Sehen Sie sich doch an – Sie sind nicht schwach oder schutzlos. Als Umbrio aus dem Gefängnis kam, haben Sie sich nicht einfach in einer Ecke verschanzt. Sie haben ihn erschossen. Sie haben die Herausforderung angenommen und gewonnen, Catherine. Bei mir ist das ganz anders. Alles Training, keine Prüfung. Ich bin mein Leben lang davongerannt, und ich weiß nicht einmal, vor wem ich mich fürchten soll. ›Trau niemandem‹, lautete das Motto meines Vaters. ›Dass du als paranoid angesehen wirst, heißt noch lange nicht, dass sich da draußen niemand herumtreibt, um dich zu schnappen.‹ Keine Ahnung. Vielleicht hat mein Vater den Nagel auf den Kopf getroffen. Anscheinend ist es immer der gutaussehende, charmante Ehemann, der seine Frau brutal ermordet, der gutmütige Pfadfinder, der insgeheim ein Serienkiller ist. Himmel, ich verdächtige sogar den Postboten.«
    »Oh, ich auch«, warf Catherine ein. »Und den Gasableser und jeden Handwerker und die Leute von diesen Kundenhotlines. Es ist erschreckend, wie viele Informationen sie über ihre Mitbürger haben.«
    »Das stimmt!«
    »Ich habe eine Scheinfirma gegründet«, erzählte Catherine beiläufig. »Alles läuft auf den Namen dieser Firma – und siehe da, ich existiere nicht mehr auf dem Papier. Das ist die einzige Möglichkeit, sich abzusichern. Ich kann Carson bitten, Ihnen zu erklären, wie man so was einfädelt.«
    »Danke, aber ich verfüge nicht über solche Mittel …«
    »Unsinn, es geht um Sicherheit, nicht um Geld. Ich beauftrage Carson, das für Sie zu arrangieren. Sie müssen an die Zukunft denken. Der eigentliche Trick bei der Absicherung ist, immer einen Schritt voraus zu sein.«
    Ich nickte. Einen Schritt voraus? Wem voraus? Was hielt die Zukunft für jemanden wie mich bereit? Seit fünfundzwanzig Jahren war ich darauf trainiert, aus dem Koffer zu leben. Selbst in Boston war ich mit meinen Kollegen im Starbucks nur flüchtig bekannt, und für meine wohlhabenden Kunden war ich nur ein besseres Dienstmädchen. Ich ging in die Kirche, setzte mich jedoch immer in die letzte Bank. Ich wollte nicht, dass man mir zu viele Fragen stellte. Und was mein kleines Unternehmen betraf – was würde passieren, wenn es florierte, wenn ich Mitarbeiterinnen einzustellen versuchte? Würde meine falsche Identität der gründlichen Überprüfung der Behörden standhalten? Ich redete mir ein, alles im Griff zu haben und einen Traum zu verfolgen. Ich wollte nicht mehr die Schachfigur meines Vaters sein. Aber in Wahrheit biss ich mich Woche für Woche durch und behielt meine unauffällige Routine bei. Mein Unternehmen wuchs nicht. Ich schloss keine Freundschaften, hatte keine Verabredungen. Ich würde mich nie verlieben, nie eine Familie haben. Nach fünfundzwanzig Jahren auf der Flucht war ich mutterseelenallein und hatte noch immer Angst.
    Plötzlich verstand ich Catherine Gagnon. Sie hatte recht. Sie war diesem Erdloch nie wirklich entkommen. Genau wie ich nie aufgehört hatte, eine lebende Zielscheibe zu sein.
    »Ich muss kurz auf die Toilette«, murmelte ich.
    »Ich komme mit.«
    Sie folgte mir zur Damentoilette und bezog vor dem Spiegel mit vergoldetem Rahmen Posten. Ich zog mich in eine der Kabinen zurück, drückte die Stirn an die kühle Metalltür und rang um Fassung.
    Was hatte mein Vater immer gesagt? Ich bin stark, ich bin schnell, und ich habe Kampfgeist und einen guten Instinkt.
    Aber was hatte mein Vater schon gewusst? Trotz all seiner Vorsicht war es ihm nicht gelungen, einem Taxi auszuweichen. Ich kniff die Augen zu und dachte an meine Mutter. An die Art, wie sie mir über die Haare strich. An ihr Gesicht an diesem Herbstnachmittag in Arlington, als sie mir sagte, dass sie mich liebte, dass sie mich immer lieben würde.
    Ich holte das Foto, das mir Mrs. Petracelli mitgegeben hatte, aus der Tasche. Es war bei einem Barbecue im Garten der Petracellis aufgenommen worden. Ich saß neben Dori am Tisch. Wir lächelten in die Kamera und hielten ein Limoglas in der Hand. Meine

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