Kuehles Grab
Mutter stand an der Seite, prostete dem Fotografen zu und blickte mit einem nachsichtigen Lächeln auf uns. Mein Vater war im Hintergrund und machte sich am Grill zu schaffen. Auch er lächelte in die Kamera.
Wehmut stieg in mir auf, Tränen brannten in meinen Augen. Und ich begriff, warum ich niemals vorwärtskam. Weil ich im Grunde nur zurück wollte. Zurück zu den letzten Tagen dieses Sommers. Zu diesen letzten Wochen, in denen die Welt noch in Ordnung gewesen war.
Ich wischte mir über die Augen und riss mich zusammen – was sollte ich sonst tun? Ich ging zum Waschbecken, legte das Foto behutsam an den Rand, damit es nicht nass wurde, wenn ich mir die Hände wusch. Catherine schlenderte zu mir und betrachtete mein Gesicht im Spiegel. Sie hatte ihren Lippenstift nachgezogen und ihr langes, schwarzes Haar gebürstet.
Seite an Seite sahen wir aus wie Schwestern. Sie war die glamouröse, die dafür bestimmt war, ein Leben unter Stars zu führen, mir hingegen war es beschieden, die verrückte Alte mit den vielen Katzen zu werden, die allein am Ende der Straße lebte.
Ihr Blick fiel auf das Foto. »Ihre Familie?«
Ich nickte und spürte, wie sie erstarrte.
»Sagten Sie nicht, Ihr Vater sei Mathematiker gewesen?«
»Das war er.«
»Lügen Sie mich nicht an, Annabelle. Ich bin ihm begegnet. Genau genommen zweimal. Ehrlich, Sie hätten mir ruhig sagen können, dass er beim FBI war.«
21
Catherine setzte mich erst nach Mitternacht vor dem Hotel ab, in dem Zimmer für mich, Bobby und D. D. reserviert waren. Ich stieg unsicher aus der Limousine aus und winkte ihr zum Abschied zu, dann eilte ich mit resoluten Schritten in die Lobby. Ich ahnte, dass entweder Bobby oder D. D. Wache halten und auf mich warten würde.
Bobby warf einen Blick auf meinen derangierten Aufzug und stellte fest: »Sie sind betrunken.«
»Es war nur ein Glas Champagner«, verteidigte ich mich. »Wir haben angestoßen.«
»Worauf?«
»Oh, Sie hätten dabei sein müssen.« Wir hatten auf all die Lügen und die Männer angestoßen, die sie erzählten. Ich war total betrunken und wusste, dass ich mich am Morgen hassen würde. Catherine war so sanftmütig geworden, dass sie mir Fotos von ihrem Sohn gezeigt und dabei glücklich gelächelt hatte. Sie hatte einen hübschen Sohn. Ich wollte auch eines Tages einen Sohn haben. Und eine Tochter, ein süßes Mädchen, das ich beschützen würde.
Und ich wollte Sex. Offenbar machte mich der Champagner heiß.
»Mögen Sie Barbecue?«, fragte ich Bobby und summte: » If you like piña coladas, or getting caught in the rain …«
Bobby riss die Augen auf. »Wir hätten Sie nicht mit ihr allein lassen dürfen!«
Ich vollführte einen kleinen Tanz durch die Lobby. Es war schwierig, meine Füße im Einklang mit dem Gehirn zu bewegen. Vielleicht sollte ich mich für einen Tanzkurs anmelden. Vielleicht würde mir das Tanzen guttun. Irgendetwas Schönes üben, statt in Fitnessstudios herumzuhängen, in denen sich schwitzende Männer gegenseitig die Köpfe einschlugen.
Bobby hatte schöne Schultern. Ich mochte die Art, wie er sich bewegte – geschmeidig, elegant. Wie ein Panther.
»Sie«, sagte er, »brauchen Wasser und Aspirin.«
»Werden Sie sich um mich kümmern, Detective?« Ich machte mich an ihn heran, doch er wich zurück.
»Ach, du liebe Güte«, stöhnte er.
Ich lächelte zu ihm auf.
»Ich rufe D. D.«, erklärte er und lief zum Telefon.
»Ah – verderben Sie mir jetzt nicht den Spaß«, rief ich ihm nach. »Außerdem wollen Sie sicher meine Neuigkeiten hören.«
Das hielt ihn zurück. »Was für Neuigkeiten?«
»Geheimnisse«, flüsterte ich. »Verborgene, finstere Familiengeheimnisse.«
Ich hatte jedoch keine Gelegenheit mehr, sie ihm zu enthüllen, denn plötzlich platzten tausend kleine Champagnerbläschen in meinem Kopf, und ich verlor das Bewusstsein.
D. D. hatte keinen Sinn für Humor. Den Verdacht hatte ich schon immer gehabt. Jetzt wusste ich es mit Gewissheit. Bobby schleppte, zerrte mich in ihr Zimmer und warf mich auf das Sofa. Sergeant Warren schüttete mir ein Glas Eiswasser ins Gesicht. Hustend und keuchend schreckte ich aus der Ohnmacht und taumelte zur Toilette, um mich zu übergeben.
Als ich mit wankenden Schritten zurückkam, empfing mich D. D. mit einer Handvoll Aspirin und einer Dose Mineralwasser.
»Kotzen Sie das bloß nicht wieder aus«, warnte sie mich. »Es ist aus der Minibar und kostet das Department ein Vermögen.«
Das Mineralwasser schmeckte
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