Kuehles Grab
Catherines Entführung aus gewesen. Auf Informationen aus erster Hand, und die waren ihm so wichtig, dass er sich nicht nur einmal, sondern gleich zweimal als FBI-Agent ausgegeben hatte. Im November 1980 war mein Vater bereits besessen von Gewaltverbrechen an jungen Mädchen. Allerdings hatte mich damals noch niemand ins Auge gefasst, zumindest theoretisch nicht.
Kaffee schwappte aus meinem Becher und verbrühte mir die Hand. Ich nutzte das als Entschuldigung, mich noch einmal ins Bad zurückzuziehen. Dort ließ ich kaltes Wasser laufen und schaute in den Spiegel. Aschfahles Gesicht. Glänzende Schweißperlen auf der Stirn.
Ich wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser.
Als ich zurück ins Zimmer kam, hatte ich mich einigermaßen gefasst.
»Ich gehe jetzt in mein Zimmer«, erklärte ich gelassen.
»Ich begleite Sie«, bot Bobby an.
»Ich wäre gern allein.«
Bobby und D. D. sahen sich ratlos an. Dachten sie, ich würde mich aus dem Staub machen? Plötzlich ging mir ein Licht auf- sie dachten das wirklich! Das Mädchen mit multiplen Identitäten, die geborene Ausreißerin.
Aber das war ich nicht wirklich. Mein Vater war so.
Nach jedem Umzug machten meine Mutter und ich Fehler. Wir benutzten die falschen Namen, sprachen von den falschen Städten, vergaßen wichtige Details. Meinem Vater passierte so etwas nie. Er war immer auf dem Laufenden und beherrscht. Wieso hatte ich mich nie gefragt, wo er so gut lügen gelernt hatte? Wie er gelernt hatte, mit einem Leben auf der Flucht fertig zu werden?
Mein Vater riet mir ständig, niemandem zu vertrauen. Vielleicht galt das ebenso für ihn, und ich hätte auch ihm nicht vertrauen dürfen.
Bobby und D. D. hatten noch immer kein Wort gesagt. Ich konnte nicht mehr warten, drehte mich auf dem Absatz um und ging zur Tür.
Sie hielten mich nicht auf, nicht einmal als die Tür hinter mir ins Schloss fiel und ich allein auf dem Flur stand.
Für einen kurzen Augenblick zog ich es in Erwägung.
Lauf weg. Es ist gar nicht so schwer Du musst nur einen Fuß vor den anderen setzen.
Aber ich lief nicht weg. Ich ging – langsam und sehr vorsichtig, Schritt für Schritt – zu meinem Zimmer.
Dann legte ich mich in voller Montur auf das billige Hotelbett und starrte an die weiß getünchte Decke. Ich zählte die Stunden bis Sonnenaufgang und hielt die Phiole mit der Asche meiner Eltern in den Händen.
22
Bobbys Wecker klingelte um fünf Uhr morgens. Im Halbschlaf stellte er ihn mit einem Fausthieb aus und verschaffte sich damit zwei Minuten Ruhe. Dann klingelte das Telefon – D. D. natürlich.
»Hast du überhaupt geschlafen?«, fragte er.
»Wer bist du, meine verdammte Mutter?«
»Siehst du – genau deshalb musst du dich ausruhen.«
»Bobby, uns bleiben noch drei Stunden, bis wir zum Flughafen fahren müssen. Beweg deinen Hintern hierher.«
So ein Ausspruch motivierte ihn nicht gerade. Deshalb nahm er sich die Zeit, zu duschen, sich zu rasieren, seine Sachen zu packen und sich einen heißen schwarzen Kaffee einzugießen. Als er an ihre Tür klopfte, war D. D. kurz davor zu explodieren.
Er fürchtete eine ordentliche Standpauke, doch im letzten Moment schien sie sich eines anderen zu besinnen und hielt ihm die Tür auf.
Das Hotelzimmer sah aus, als wäre ein Hurricane hindurchgefegt. Überall Papiere und verschütteter Kaffee. Essensreste zierten ein Tablett vom Room Service. Was immer D. D. auch getrieben haben mochte, seit Bobby sie das letzte Mal gesehen hatte – mit Schlaf hatte es nichts zu tun gehabt.
»Ich habe bereits mit dem Hotelmanager gesprochen«, begann sie schroff. »Er hat mir versprochen, uns unverzüglich zu benachrichtigen, wenn Annabelle auscheckt.«
Bobby musterte sie. »Und ganz bestimmt wäre Annabelle so umsichtig, offiziell auszuchecken, wenn sie vorhat abzuhauen.«
»O mein Gott …«
»D. D., setz dich! Verschnauf erst mal! Du bist am Ende und hast nicht mehr alle Sinne beisammen.« Er schüttelte verärgert den Kopf. Sie funkelte ihn nur an.
D. D. trug noch die Sachen vom Abend zuvor. Ihre Haut war fahl, das blonde Haar zerzaust, die blauen Augen waren blutunterlaufen.
»D. D.«, versuchte er es noch einmal, »du kannst nicht so weitermachen. Ein Blick auf dich, und der Deputy wird dir den Fall entziehen. Es reicht nicht, deine Truppe vorm Burnout zu bewahren. Du musst auch zusehen, dass du dir nicht zu viel zumutest.«
»Red nicht in diesem Ton mit mir …«
»Schau in den Spiegel, D. D.«
»Nur damit du's weißt – ich gehöre
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