Kuehles Grab
Christopher war ja zu Hause. Wir ließen sie in seiner Obhut und fuhren los.«
Wieder eine Pause, während der Mr. Eola mit seinen Erinnerungen kämpfte und nach den richtigen Worten suchte. Plötzlich war seine Stimme heiser und kaum noch zu verstehen. »Wie sich herausstellte, waren die Besprechungen mit dem Klienten gar nicht so dringend. Pauline bekam keine Karten für die Aufführung, die sie gern sehen wollte. Also fuhren wir direkt nach Hause. Einen Tag früher als geplant. Auf die Idee, zu Hause anzurufen, kamen wir gar nicht.
Es war kurz nach acht Uhr abends. Das Haus war dunkel – das Personal hatte Feierabend und war schon gegangen. Wir fanden sie im Wohnzimmer. Christopher saß in meinem Ledersessel. Splitternackt. Meine Tochter … Natalie … Er zwang sie, ihn zu … zu einem sexuellen Akt. Sie schluchzte. Und mein Sohn schrie in einem Ton, den ich noch nie gehört hatte: ›Du dumme, kleine Schlampe, du schluckst das besser runter, sonst ramme ich ihn dir beim nächsten Mal in den Hintern.‹
Dann hob er den Kopf und sah uns in der Tür stehen. Und er lächelte einfach. Es war ein eiskaltes Lächeln. ›Hey, Dad‹, rief er. ›Ich muss mich bei dir bedanken. Sie ist viel besser als Gabrielle.‹«
Wieder brach Eola senior ab. Sein Blick richtete sich starr auf einen Fleck in der Tischplatte. Seine Frau neben ihm war in sich zusammengesunken. Ihre Schultern zuckten.
D. D. reagierte als erste. Sie holte eine Schachtel Kleenex und schob sie Mrs. Eola hin. Die ältere Frau nahm sie und legte sie auf den Schoß unter die gefalteten Hände.
»Danke, dass Sie sich für dieses Gespräch bereit erklärt haben«, sagte D. D. behutsam. »Dies ist schrecklich für Ihre Familie. Wir haben noch ein paar kurze Fragen, dann können wir für heute Schluss machen.«
»Was wollen Sie noch wissen?«, fragte Mr. Eola erschöpft.
»Können Sie uns eine Beschreibung von Gabrielle geben?«
Was immer er erwartet hatte – dies war es nicht. Mr. Eola blinzelte. »Ich … ich habe nie wirklich über sie nachgedacht. Was wollen Sie wissen?«
»Größe, Gesicht, Haar- und Augenfarbe. Das allgemeine Erscheinungsbild.«
»Na ja … sie war etwa eins fünfundsechzig groß. Dunkles Haar. Dunkle Augen. Schlank, aber nicht dürr wie die jungen Mädchen heutzutage. Robust, temperamentvoll.«
D. D. nickte. Bobby stellte im Geiste dieselbe Verbindung her wie sie. Die Beschreibung von Gabrielle hätte auch auf Annabelle passen können.
Sinkus räusperte sich und zog so die Aufmerksamkeit der Anwesenden wieder auf sich. Es war an der Zeit, die Unterredung abzuschließen, doch Sinkus schien noch etwas auf dem Herzen zu liegen.
»Mr. Eola, Mrs. Eola, erlauben Sie mir … Ist Christopher, nachdem Sie ihn mit Ihrer Tochter erwischt haben, freiwillig mit Ihnen ins Boston State Mental gefahren?«
»Er hatte keine andere Wahl.«
»Wieso?«
»Mein Geld gehört mir, Detective Sinkus. Und Sie können davon ausgehen, dass ich nicht vorhatte, Christopher nach diesem … Vorfall auch nur noch einen Cent zu überlassen. Christopher hatte jedoch sein eigenes Vermögen. Einen Treuhandfonds, den ihm seine Großeltern hinterlassen hatten. Allerdings war festgelegt, dass er erst nach dem vollendeten achtundzwanzigsten Lebensjahr Zugang zu dem Geld haben sollte. Selbst dann brauchte er noch die Zustimmung des Vermögensverwalters. Und der war ich.«
Bobby kapierte in derselben Sekunde wie D. D.
»Sie haben ihm gedroht, ihn leer ausgehen zu lassen. Ihm sein Erbe vorzuenthalten.«
»Verdammt richtig«, erwiderte Eola senior. »Ich habe ihn an dem schrecklichen Abend am Leben gelassen – das war großzügig genug.«
»Du hast ihn geschlagen«, flüsterte Mrs. Eola. »Du hast dich auf ihn gestürzt und immer wieder zugeschlagen. Natalie hat geschrien, du hast gebrüllt – das ging eine Ewigkeit so. Christopher saß nur da. Mit diesem grässlichen Lächeln und dem blutverschmierten Mund.«
Mr. Eola ließ sich nicht dazu herab, sich für sein damaliges Verhalten zu rechtfertigen. »Ich habe ihn in sein Zimmer gescheucht und eingeschlossen. Dann überlegte ich, wie ich mit ihm verfahren sollte. Ich brachte es nicht fertig, meinen einzigen Sohn zu töten, konnte meine Tochter aber nach diesem schrecklichen Erlebnis auch nicht den Fragen der Polizei aussetzen. Ich konsultierte meinen Anwalt –«, sein Blick wanderte zu Barron, »– der mir eine dritte Alternative unterbreitete. Gleichzeitig warnte er mich, dass es schwierig werden könnte,
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