Kühlfach betreten verboten
Hand. Die rechte hatte sie vor den Mund geschlagen, die Augen waren weit aufgerissen.
Erst hielt ich es für ein Fieberthermometer, aber kein normaler Mensch misst Fieber, wenn er auf der Schüssel sitzt. Dann ging mir ein Licht auf. Ich flog über ihre rechte Schulter und blickte auf das Kreuz, das sich in dem kleinen Sichtfensterchen gebildet hatte. Birgit war schwanger.
Neeeiiiin! Womit hatte ich das verdient? Rotznasen, wohin ich blickte. Nerventerroristen, Windelkacker, Kreischtornados, Breikotzer. Und alles dreht sich um die Specksäcke. Ständig werden sie gefüttert, geklopft, herumgetragen. Jeder Schiss wird kommentiert, jedes Bäuerchen bestaunt und jedes Verbalgeräusch als frühreife Sprachentwicklung interpretiert. Wenn in diesem Haushalt ein Kind auftauchte, würde für mich das Leben zur Hölle. Martin würde mich völlig ignorieren, es würde laut und eklig, also kurz und gut: Ich würde nicht hierbleiben können.
Obdachlosigkeit ist für einen Geist nicht so dramatisch, mögen Sie denken, aber da liegen Sie völlig falsch. Auch wir brauchen ein Zuhause. Ich jedenfalls. Und das wurde mir gerade von einem kleinen, matschigen Zellklumpen streitig gemacht. Ich hatte plötzlich einen Kuscheleckenkonkurrenten, bevor das Menschlein überhaupt richtig existierte. Und genau das war der springende Punkt: Ich durfte es gar nicht erst dazu kommen lassen, dass dieser Zwerg mir mein Zuhause wegnahm. Ich wusste nur noch nicht, wie ich das managen sollte.
»Hast du Gregor inzwischen erreicht?«, fragte ich Martin, als ich wieder zu ihm stieß. Ihn trennten nur noch wenige Schritte von seiner Ente, die er in einer Seitenstraße geparkt hatte.
»Nein, wieso?«
»Da wir den Bruder der entführten Lehrerin ja nicht angetroffen haben, treffen wir uns eben mit Gregor, um zu hören, wie es bei ihm so läuft«, sagte ich.
Martin runzelte die Stirn. »Äh, nein, so war das aber nicht abgesprochen. Ich fahre jetzt nach Hause, ich muss nach Birgit sehen …«
»Birgit geht es prima, ich war gerade zu Hause. Sie ist müde und geht sowieso gleich ins Bett, du würdest gar nichts für sie tun können.«
»Ich kann immerhin bei ihr sein …«
Ein normaler Martin ist schon schwer zu ertragen, ein verliebter Martin noch schwerer, aber ein um seine Liebste besorgter Martin ist eine Nervenprobe für echte Helden. Ich zügelte meinen rasenden Drang, ihm zu sagen, was für ein lächerlicher Waschlappen er war, und versuchte es wieder auf die Du-musst-die-Lehrerin-retten-Verantwortungstour.
»Du weißt, dass bei Entführungen jeder Tag zählt, und die einzig wirkliche Hoffnung dieser Lehrerin bist du, weil sich sonst niemand um sie kümmert.«
»Aber Gregor …«
»Gregor sucht einen Mörder.«
»Aber ich kann ihm nicht …«
»Du kannst ihn wenigstens ein bisschen auf die Spur setzen.«
Martin seufzte und holte sein Handy aus der Tasche. Er löste die Tastensperre und rief Gregors Namen aus dem Adressbuch auf. Sein Finger schwebte über der Ruftaste, aber dann steckte er das Gerät wieder weg. »Nein, ich muss zu Birgit.«
Er ließ die gedankliche Schutzmauer herunter, was nicht schwer war, weil alle seine Gedanken sich sowieso auf Birgit konzentrierten. Dann schloss er die Schunkelbüchse auf und pötterte los.
Ich war doppelt stinkig. Erstens hatte ich die grausame Zukunft einer Kleinfamilie mit schreiendem Pampersrocker vor Augen, und zweitens war ich im Fall einer ermordeten Jugendlichen und einer verschwundenen Lehrerin bloßer Zuschauer, solange Martin mich boykottierte. Auf die Art konnte man doch keine Fälle lösen! Ich brauchte Martin, mein Sprachrohr, damit ich selbst mit den Irdischen Kontakt aufnehmen konnte. Und dieses Sprachrohr, oder besser gesagt diese Jammertröte, fiel wohl auf unbestimmte Zeit aus. Das ging gar nicht.
Ich musste etwas unternehmen. Oder vielleicht nicht? Ich hatte gar keine Ahnung, ob diese Schreiwurst, die sich da in Martins und Birgits Leben drängte, überhaupt willkommen war. Hatten die beiden jemals über Familienplanung gesprochen? Oder wollte Birgit Karriere machen in ihrer Bank? Sie hatte bestimmt das Zeug zu einer Vorstandstussi, und ich hoffte, dass sie diese moderne Lebensform wollte. Keine Schwangerschaft mit grässlich dickem Bauch wie ein gestrandeter Wal, keine Hupen, aus denen die Milch tropft, kein Sabbergör auf der Schulter, keine Kinderlieder, die sich alle auf Entchen oder Schwänzchen reimen, keine siebzehn Erkältungen pro Jahr, Masern,
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