Kühlfach betreten verboten
Edi, das machen Eltern nun mal so.«
»Ich will aber nicht, dass andere Leute das sehen.« Sie schluchzte laut auf.
Ich kapierte, was sie meinte, als ich einen Blick in das Fotoalbum warf. Da konnte man die gute Edi als Säugling rücklings auf dem Wickeltisch nur im Hemd bewundern. In Farbe und Hochglanz, mindestens dreizehn mal achtzehn.
Der Anblick erinnerte mich an eine Spardose, aber dashätte ich besser nicht gedacht oder zumindest ein bisschen vorsichtiger, denn jetzt hatte sie mich bemerkt und kam mit einem Heulton wie eine Fliegeralarmsirene auf mich zugerauscht, bremste kurz vor mir ab und schrie mit überschnappender Stimme: »Du hast hier gar nichts zu suchen, und wenn du noch mal so was Gemeines sagst, dann, dann …« Sie heulte wieder los.
»Ruhe!«, brüllte ich zurück. Sie war so erschrocken, dass sie kurzzeitig verstummte.
»Ich habe nichts gesagt, sondern nur gedacht, und dafür kann ich nichts, denn das war ein spontaner Geistesblitz. Jetzt schalte die Sirene ab, sonst bleibst du hier, während ich mit den Männern in die Stadt düse.«
»Ich will ja gar nicht mit euch …«, fing sie an, aber Jo war sofort an ihrer Seite und machte ein beruhigendes Pssssst.
Er umkreiste sie in langsamen Wellenbewegungen und tatsächlich hörten Edis Elektronen auf, wie die Funken einer Wunderkerze herumzustieben.
»Eltern sind so, da kannst du nix dran machen«, sagte Jo mit einem Seufzer so tief wie die Schürze eines Opel GT ohne Stoßdämpfer. »Die zeigen alles. Meine Mama hat ein Foto von mir herumgezeigt, auf dem ich auf dem Wickeltisch liege und mir selbst dabei zusehe, wie ich einen mickrigen Bogen pinkle. Ihre Freundin Susanne erzählt seitdem herum, dass mein Pipimann bestimmt mal ein ganz besonders schönes Exemplar wird.«
Edi starrte ihn mit entsetztem Blick an. Ich war eher interessiert. Diese Freundin würde ich ja gern mal kennenlernen.
»Würdest du nicht«, sagte Jo zu mir. »Die ist so hässlich, dass ich jedes Mal Albträume kriege, wenn sie bei uns zu Besuch war.«
Edi wollte gerade empört etwas über innere Schönheitund diesen ganzen Emanzenscheiß erwidern, als Jo klarstellte: »Sie hat sich die Haare raspelkurz abgeschnitten und kiwigrün gefärbt. Außerdem hat sie in jeder Augenbraue zwölf Piercings und an den Nasenflügeln, in der Zunge und am Kinn noch mal so viele.«
Jetzt schüttelten wir uns gemeinsam, denn wenn ich eins nicht leiden kann, dann sind es Blechpickel im Gesicht.
Jos Vater hatte sich inzwischen über ein Foto gebeugt, auf dem ein lachender Mann Edi an beiden Füßen kopfunter festhielt, während sie seine Schuhriemen verknotete. Edi schrumpfte wie ein löchriger Luftballon zusammen.
»Dein Papa?«, fragte Jo.
Edi nickte.
»Wie lange ist er schon tot?«
»Zwei Jahre.«
Edis Mutter strich mit dem Zeigefinger über das Foto und Jos Vater legte seine Hand auf ihre Schulter. »Es tut mir sehr leid«, sagte er leise.
»Abmarsch«, befahl ich, bevor wieder alle in Tränen ausbrachen. »Wir gehen Autos klauen.«
Unerwarteterweise kam kein Widerspruch. Nicht mal von Edi, obwohl ich von ihr auf jeden Fall einen Hinweis auf das Strafgesetzbuch, die Unmöglichkeit der Ausführung und das grundsätzliche Desinteresse an illegalen Vergnügungen erwartet hätte. Sie war offenbar in echt mieser Verfassung. Schade. Ich hätte keine einzige Träne vergossen, wenn mein alter Herr in meiner frühen Jugend abgenippelt wäre.
»War der auch kriminell?«, fragte Jo.
»Jawoll«, entgegnete ich. »Er hat getötet. Für Geld.«
Die vier (denn Niclas und Bülent hatten sich inzwischen zu uns gesellt, auch wenn sie sich die größte Mühe gaben, sich gegenseitig nicht wahrzunehmen) schwiegen schockiert und rückten leicht von mir ab. Ich musste ihnen janicht auf die Nase binden, dass mein Vater Tiere gekillt und zu Wurst verarbeitet hatte. Töten ist töten, sagt Martin, und deshalb ist er ja Vegetarier. Wo er recht hat, hat er recht – zumindest, was meinen Vater anging.
SECHS
Donnerstag, 22 Uhr 03
Wir befanden uns in einem Neubaugebiet der Extraklasse, in dem es, neben vielen Familienvans, auch einige geile Geschosse gab, die Papi sich nebenbei leistete. Ein Schlaraffenland für Leute wie mich. Mein erstes Ziel war eine Rakete in dezentem Haifischgrau. Matt. Mit Felgen, von denen jede das Jahresgehalt des Kfz-Meisters kostet, der sie im Herbst gegen die Winterreifen tauscht. Das Ding stand erst seit ein paar Tagen hier in einer riesigen beheizten Garage
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