Kühlfach betreten verboten
selbst schienen dabei sogar noch mehr Spaß zu haben als die Seelchen, die sie umschwirrten. Ich bekam von der Story nicht viel mit, aber dass Edis Mutter Harry sprach und Jos Vater mit Fistelstimme die klugscheißernde Hermine, das hatte ich schnell kapiert. Nun kann ich Harry, den Deprikönig vom Zauberland, sowieso nicht ausstehen und ein Fräulein Neunmalklug in Geisterform reichte mir völlig, daher fühlte ich keinerlei Neigung, dem Schwachsinn zu lauschen. Auch Niclas lechzte eher nach seinem Egoshooter als nach magischen Möchtegernhelden und folgte meinem »Action«-Ruf daher gern. Bülent trennte sich schmerzfrei, aber Edi und Jo weigerten sich total. Edi schien allerdings mehr daran interessiert zu sein, was zwischen ihrer Mutter und Jos Vater ablief, als daran, dem Fortgang der Geschichte zu lauschen.
Dass Weiber immer die falschen Prioritäten haben, ist ja nicht neu.
Martin stand bereits auf dem Schulhof, als ich mit Niclas und Bülent ankam. Ich flog eine kurze Runde, um festzustellen, wo sich der Rektor befand, und erwischte ihn dabei, wie er in seinem Büro auf ein Foto starrte, das er aus seiner Brieftasche gezogen hatte. Das Foto zeigte Sibel,unsere verschwundene Lehrerin – in einem weißen Kleid mit einer Kerze in der Hand.
»Ist das eine Hochzeit?«, fragte Bülent neben mir.
»Und wo ist dann der Mann, du Blödmann?« Das war natürlich Niclas.
Ich konnte mir auch nicht erklären, was auf diesem Foto passierte, ich wusste nur, dass es in einer Kirche aufgenommen worden war. Der Hintergrund war zwar nur ganz dunkel und verschwommen erkennbar, aber seit ich unfreiwillig und notgedrungen mit Marlene viele Stunden in ihrer Klosterkirche zugebracht hatte, erkannte ich einen Betbunker selbst im Halbschlaf und ohne Beleuchtung. Die türkische Lehrerin Sibel Akiroglu stand mit einer Kerze in der Hand in einer christlichen Kirche. Seltsam. Sehr seltsam.
»Frag den Rektor, wieso er ein Foto von Sibel anschmachtet und was sie in dieser Kirche gemacht hat«, rief ich Martin zu, der sich umgedreht hatte, um den Schulhof zu verlassen.
»Moment, ich glaube, ich habe vergessen, mein Auto abzuschließen.«
»Bleib geschmeidig, Martin, das Ding klaut doch kein Mensch!«, sagte ich. Bülent kicherte.
Martin ließ sich nicht davon abbringen, und als er endlich wieder am Schulhof ankam, verließ der Rektor den Parkplatz gerade in einem knallblauen Kombi.
»Hinterher«, rief ich, und Martin setzte seine unsportliche Figur in hektisch zappelnde Bewegung, um dann in seiner Ente die Verfolgung aufzunehmen.
Die Fahrt dauerte nicht lange, und der Kombi war weder besonders schnell noch leicht zu verlieren, so erreichten die Autos den Parkplatz neben der Kirche fast gleichzeitig. Der Rektor stieg aus, holte einen großen Karton aus dem Kofferraum und steuerte auf ein Gebäude neben der Kirche zu. Martin schloss seine Ente sorgfältig ab und lief dann hinter dem großen Mann her.
»Wie heißt der Typ noch mal?«
»Herr Bieberstein«, antwortete Bülent.
»Also«, sagte ich zu Martin, »finde erst mal heraus, was er hier macht. Und ob das die Kirche ist, aus der das Foto von Sibel stammt. Und was das Foto bedeutet. Und …«
»Welches Foto überhaupt?«
Ich schickte ihm schnell ein Erinnerungsbild an das Foto, und Martin antwortete spontan: »Eine Taufe.«
»Mann, das war kein Babyfoto von der Lehrerin«, erklärte ich ihm.
»Na und? Taufen lassen kann man sich jederzeit. Besonders Konvertiten.«
»Konver… was?«, fragte ich.
»Titten?«, ergänzte Niclas eifrig.
Herr Bieberstein war inzwischen mit einem großen Karton an der Tür angelangt und klingelte. Nur wenig später wurde die Tür geöffnet und er trat ein. Martin hoppelte hinterher und kam gerade rechtzeitig, um den sprichwörtlichen Fuß in die sprichwörtliche Tür zu halten. Die schwere Eichenfüllung quetschte ihm fast die Zehen ab, und die Frage der Türöffnerin, wer er sei, beantwortete er mit einem jämmerlichen Jaulen.
»Entschuldigung«, sagte sie, obwohl er ja selbst so doof gewesen war, seinen empfindlichen Patschefuß in den Spalt zu klemmen.
»Schon gut, das war wohl meine eigene Schuld, aber ich muss unbedingt mit Herrn Bieberstein sprechen«, brachte Martin unter Stöhnen hervor. Der Mann war aber auch ein Jammerlappen.
»Natürlich, kommen Sie herein.«
Martin humpelte hinter der Tante her, die aussah wie eine etwas kleinere Ausgabe von dieser englischen Krimiwachtel, deren Filme von manchen Fernsehsendern in
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