Kühlfach betreten verboten
Martin verfing sich im Elektrosmogschutznetz und taumelte wie ein Besoffener an der Bettkante entlang.
»Ich habe einen Riesenhunger«, rief Birgit lachend. »Frühstück!«
»Woher wusstest du, dass sie schwanger ist?«, fragte Martin mich in der Küche.
»Euer Nachwuchs hat sich natürlich bei mir vorgestellt«, entgegnete ich.
Martin erstarrte mitten in der Bewegung. Das Müsli rieselte ungebremst aus der Vorratsdose in die Schüssel, machte eine Halde, rieselte weiter auf den Tisch, wurde zur Wanderdüne. »Hat sich vorgestellt? … Wie bitte?«
»Na, was denkst du denn?«, fragte ich. »Dass der hier einfach so in mein Territorium einfliegen kann, ohne sich anzumelden?«
Martin wurde blass.
»Er? Es ist ein Junge?«
»Leider«, sagte ich. »Mir wäre es auch lieber gewesen, es wäre ein Mädchen und käme nach Birgit. Aber so viel Glück hatten wir zwei nicht. Es ist ein Martin-Release 2.0. Gruselig!«
In Martins Hirn herrschte ein Zustand zwischen Entsetzen und Neugier.
»Kannst du wirklich mit ihm …«
»Yep.«
»Unsinn«, rief er plötzlich. »Das kann nicht sein. In so einem frühen Stadium ist überhaupt noch gar kein Bewusstsein möglich.«
»Da bist du ja der Fachmann, was?« Ich spürte seine Zweifel. »Ab wann ist denn Bewusstsein möglich?«, fragte ich.
»Das Gehirn eines ungeborenen Kindes entwickelt sichfrühestens ab der achten Schwangerschaftswoche. Da sprechen wir von ersten Gehirnzellen, aber noch lange nicht …«
»Und was hat die Seele mit dem Gehirn zu tun?«
Aha, da war der Meister platt.
Ich ließ Martin weitergrübeln und Müsliflocken zusammenfegen, beantwortete seine Fragen nach dem Befinden seines Sohnes einfach nicht weiter und beglückwünschte mich zu meiner spontanen Idee. Ab sofort wäre ich für Martin der wichtigste Mensch auf Erden: derjenige, der mit seinem ungeborenen Kind reden konnte. Yeah. Jetzt konnte er mir keinen Wunsch mehr abschlagen!
Zunächst allerdings war das Zusammensein mit ihm und Birgit unerträglich. Als Birgit endlich am Frühstückstisch eintraf, hatte Martin eine ausgewogene erste Mahlzeit aus Müsli, Obst, Kamillentee, salzigen Crackern (mit Meersalz, natürlich, nicht Natriumchlorid, das ist ja überhaupt sehr ungesund), sauren Gurken und einem Marmeladenbrötchen vorbereitet. Birgit nippte am Kamillentee, wurde blass, mampfte ein Schüsselchen Müsli, zwei Gurken, einen Cracker mit Marmelade und quengelte nach Kaffee. Martin blieb standhaft. Stattdessen drängte er sie, den Kamillentee auszutrinken, was sie mit Widerwillen tat. Dann sprang sie auf und kotzte das ganze gesunde Zeug ins Klo.
Aber Birgit wäre nicht Birgit, wenn sie so schnell aufgeben würde. Sie putzte sich die Zähne, gurgelte mit Mundwasser, kam zurück in die Küche und futterte einfach noch mal von vorn. Dazu machte sie sich selbst einen Espresso. Martin nölte besorgt herum, zitierte Studien, nach denen das ungeborene Kind auf der Stelle tot umfallen würde, Birgit erklärte ungerührt, dass unter diesen Bedingungen die Italiener längst ausgestorben sein müssten, woraufhin Martin konterte, dass es zum körperlichen Aussterbenvielleicht nicht gereicht habe, aber doch einiges erkläre. Birgit hielt inne, kapierte, dass Martin einen Witz gemacht hatte, noch dazu einen gemeinen, rassistischen Witz, lachte sich schlapp und kochte sich noch einen Espresso. Martin versuchte zu schmollen, was ihm aber angesichts Birgits glücklicher Fresserei nicht gelang. Noch mit Krümeln im Mundwinkel begannen sie, über Vornamen zu diskutieren.
»Pascha«, rief ich.
Martin tat, als hörte er mich gar nicht.
»Wenigstens Sascha«, bettelte ich. O Gott, was redete ich denn da? Hatte der Babyvirus mich etwa auch schon erwischt? Ich musste mich zusammenreißen.
»Das würde nur zu Verwechslungen führen«, teilte er mir mit, dann ließ er die Schotten runter. Meine Meinung zu Jonathan, Thomas, Eveline und Hanna war nicht mehr gefragt.
Die schmalzige Seligkeit der werdenden Eltern machte mir meine Einsamkeit überdeutlich, daher machte ich mich lieber auf die Suche nach Gregor. In einem Mordfall war ein Samstag ein ganz normaler Arbeitstag. Natürlich konnte er überall sein, aber ich hatte Glück.
Gregor und Jenny saßen im LAZY und überarbeiteten ihre Datenbank. Zeugenaussagen, Verdächtige, Alibis, Zeitstränge.
Yasemin war irgendwann zwischen Montagnachmittag und Dienstagabend gestorben, der Kangoo am Dienstagabend gegen neunzehn Uhr gegen die
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