Kühlfach betreten verboten
diese Leute gehen oder an welcher Uni sie studieren oder wo sie wohnen oder was auch immer du herausfinden kannst. Vielleicht gibt uns diese Verteilung einen Hinweis darauf, dass wir in der richtigen Richtung suchen.«
»Und was tust du derweil?«, fragte Jenny.
»Ich plaudere noch mal mit meiner besonderen Freundin Amelie Görtz.«
Da Jenny sich über Statistiken beugen würde und ich Gregor sowieso viel cooler fand, begleitete ich ihn. Er fand Amelie Görtz in der Schule, wo er sie von einem toten Frosch wegholte.
Bülent würgte.
»Wenn du mal ein cooler Bulle werden willst, solltest du dich an den Anblick von aufgeschlitzten Leichen, abgeschnittenen Ohren und platzenden Froschaugen aber langsam gewöhnen«, sagte ich.
Bülent nickte tapfer.
»Wusstest du, dass Zeynep Drogen nahm?«, fragte Gregor Amelie.
Puh, manchmal fiel er ganz schön mit der Tür ins Haus.
Amelie betrachtete Gregor eine ganze Weile schweigend und nachdenklich. Sie trug dieselbe Jeans wie vor einigen Tagen, wieder eine unförmige, sackartige Jacke, aber etwas war anders an ihr. Ihre Haare … das war’s. Heute waren ihre Haare orangerot. Blond hatte ihr besser gestanden.
»Was verstehen Sie unter Drogen?«, fragte sie endlich.
»Upper, Downer, Ecstasy, Speed, Crystal, GHB, Hasch, Koks …«
»Also illegale Drogen.«
Gregor verdrehte die Augen. »Genau.«
»Die Lehrerin, aus deren Klasse Sie mich gerade rausgeholt haben, ist Alkoholikerin. Sie kann sich manchmal kaum auf den Beinen halten, aber sie kommt jeden Tag mit dem Auto und fährt auch selbst wieder nach Hause. Warum interessieren Sie sich nicht dafür?«
»Was ist das denn für eine Lehrerin?«, stammelte Bülent. Sein Weltbild geriet gerade ordentlich ins Wanken.
»Glatter Durchschnitt«, entgegnete ich.
Gregor seufzte. »Ich bin ganz deiner Meinung, Amelie, aber«, und jetzt beugte er sich mit gerunzelter Stirn vor, »ich habe keine Zeit für diesen Scheiß. Ich suche einen Mörder. Vielleicht sogar einen Doppelmörder. Über die Unterscheidung von Drogen in legale und illegale können wir gern ein anderes Mal diskutieren.«
Amelie schmollte nicht. Ungewöhnliches Perlhuhn, das sich von Gregor eine derartige Abfuhr bieten lässt und nicht sofort aufsteht und türenschlagend abhaut. »Zeynep nahm mit Sicherheit irgendwelche Pillen. Ich sag Ihnen was: Meine Ma ist an dem Scheiß krepiert, deshalb fasse ich das nicht an. Ich nehme noch nicht mal Kopfschmerztabletten, obwohl ich oft genug welche brauchen könnte, wenn ich hier rauskomme. Aber Zeynep – ja, mit Sicherheit. Und inzwischen wohl auch ganz, ganz viele andere.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Gregor.
»Ich bin nicht doof, okay? Ich achte auf so was. Bei meiner Mutter musste ich immer erst checken, in welchem Zustand sie war, bevor ich wusste, wie ich mit ihr umgehen musste. Also habe ich das gelernt.«
»Und du meinst, dass viele andere Schüler auch solches Zeug nehmen?«
»Yep.«
»Warum?«
»Mann, weil das Leben die Leute überfordert. Hören Siesich hier an der Schule um, dann wissen Sie, was ich meine. Wenn man heute was werden will, und dabei ist es inzwischen schon völlig egal, was, dann muss man zu den Besten gehören. Es gibt Studienfächer mit einem Numerus clausus von eins Komma null. Wir gehören zu den Jahrgängen, die nach der verkürzten Oberstufe in doppelter Stärke an die Unis drängen. Die Wehrpflicht wurde abgeschafft und in Deutschland fehlen unendlich viele Studienplätze.«
Sie machte eine Pause, holte tief Luft und fuhr dann mit belegter Stimme fort. »Selbst wenn Sie nicht studieren wollen, müssen Sie ein erstklassiges Zeugnis einschließlich Belobigung im Sozialverhalten haben, um einen Termin für ein Vorstellungsgespräch als Gebäudereinigungslehrling zu bekommen. Diesen Druck hält doch kein Schwein aus. Da kommen die schönen bunten Pillen gerade recht.«
Ich konnte sehen, dass Gregor angestrengt nachdachte. Ich hätte zu gerne gewusst, worüber.
»Die meisten Eltern sind auch keine Hilfe gegen den Druck, sie erhöhen ihn, wenn auch vielleicht ungewollt«, fuhr Amelie fort. »Mein Pa sagt mir, dass er mich lieb hat, egal, wie ich bin. Aber dann hat er mich zu diesem I Q-Test geschickt, weil meine Noten schlecht waren. Er wollte einfach nicht glauben, dass ich so doof bin, wie meine Schulnoten zeigten, denn ein Mann wie er zeugt keine Idioten. Dann kommt der Klopper: Plötzlich stellt sich raus, dass ich schlauer bin als Einstein, und jetzt erzählt
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