Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten
Die Hände des Toten in Papiertüten stecken (von denen die erste zerriss, weil Jochen sich
doof anstellte), um eventuelle Fingerabdrücke oder DN A-Spuren unter den Fingernägeln zu sichern. Fotos und Spuren von der Wunde nehmen (ein paar Hundehaare wuchsen aus dem Kehlkopfschnitt
wie Barthaare), die ganze Leiche mit der Lupe nach weiteren Spuren absuchen (Schleckspuren des Köters auf der Brust, jede
Menge weitere Hundehaare), die Auffindesituation dokumentieren, um später überlegen zu können, wo der Täter gestanden haben
könnte (hinter dem Opfer), wie groß er gewesen sein mochte (ungefähr einsachtzig), und ob Rechts- oder Linkshänder (links).
Es war eine langwierige und für mich inzwischen langweilige, weil bekannte Abfolge von unspektakulären Handgriffen.
Bis der Tote bewegt wurde.
Er hatte auf dem Mordinstrument gelegen, das nun in voller, glänzender Pracht auf dem dunklen Asphalt lag. Ein Skalpell. Blauer,
sehr stabiler Griff, eine Klinge wie bei einem Fleischermesser, die Produktbezeichnung PM40 in den Griff geprägt. PM für post
mortem. Genau so ein Ding, wie es auch im Rechtsmedizinischen Institut benutzt wird. Jochen wurde blass, warf einen Blick
über die Schulter zu Jenny, die aber gerade nicht in seine Richtung sah.
Die Aufregung, die immer und jetzt auch hier mit dem Auffinden der Tatwaffe einsetzte, war eine ganz allgemeine. Außer Jochen
(und mir!) hatte offenbar niemand die Verbindung zum Institut hergestellt. Ich konnte niemandem meine Beobachtung mitteilen
und Jochen wollte offenbar nicht. Er informierte die Staatsmacht von seinem Fund – aber nicht davon, dass die Schlitzer dasselbe
Modell benutzen.
Die Spusi kam heran und drängte Jochen zur Seite. Die Waffe wurde aus der Nähe fotografiert, die Spurensicherung dokumentierte
die Lage, vergab ein Beweismittelnümmerchen, schoss weitere Fotos aus zwei Meter Entfernung und packte das Ding dann endlich
in einen bereits vorher beschrifteten Beutel, der in diesem Fall noch mehrmals weiterverpackt werden musste, damit sich das
verflucht scharfe Teil nicht durch die Folie schnitt und ein weiteres Opfer erledigte.
Jochen hatte seit dem Auffinden des Skalpells keinen Ton mehr gesagt. Ich fragte mich, warum er die Quatschklappe so fest
geschlossen hielt. Er hatte doch nicht wirklich etwas mit den Vorgängen im Institut zu tun …?
»Ich möchte das Obduktionsergebnis morgen früh auf meinem Schreibtisch haben«, sagte KK Jenny mit strengem Gesichtsausdruck
zu Jochen. Er starrte sie ungläubig an.
»Schriftlich. Die Ergebnisse der Toxikologie und der anderen Laboruntersuchungen werden dann schnellstens nachgereicht.«
Jochen ließ die Schultern sacken. »Sie sind der Boss.«
Ich wartete mit Jochen auf den Transportsarg und begleitete die Leiche ins Institut. Als Jochen kurz darauf ankam, hatte Viktor
den Papierkram bereits erledigt und saß wieder an seinem Tisch. Auf die Einladung, bei der Obduktion zuzusehen, reagierte
er mit einem schnellen Kreuzzeichen. Der zweite Dienst-Schlitzer war ein neuer Kollege, der die Präparatorin gleich mitbrachte.
Sobald alle drei mit Kittelchen und Mundschutz verkleidet waren, ging es los.
Der Anfang einer Obduktion besteht darin, die Leiche in der angelieferten Form zu betrachten und dann zu entkleiden. Das Nachthemd
klebte dem Toten inzwischen amKörper fest, daher musste Jochen ganz vorsichtig sein, als er ihm das Ding auszog.
»Der Tote ist bekleidet mit einer Galabija und einer Hose mit Gummizug und Bindekordel, beides vermutlich aus Baumwolle. An
der Kleidung sind keine Beschädigungen zu erkennen«, diktierte der Kollege.
»Mit was ist der bekleidet?«, fragte Jochen entgeistert. Auch die Präparatorin glotzte mit großen Augen auf das Nachthemd,
das sie zur Seite gelegt hatte.
»Ein arabisches Obergewand. Was dachtest du denn, was das ist?«
Jochen sagte nicht, dass er es für ein Nachthemd gehalten hatte, und ich wusste natürlich nicht, ob er das gedacht hat, denn
ich kann seine Gedanken ja leider nicht lesen.
Wenn der Tote endlich in seiner ganzen unverhüllten Pracht auf dem Edelstahltisch liegt, beginnt der Obduzent, den Körper
Zentimeter für Zentimeter nach äußeren Spuren jeglicher Art abzusuchen. Das ist ziemlich langweilig, weil die Begutachtung
von zwei Quadratmeter Haut einschließlich aller Finger- und Fußnägel, der Kopfhaut und aller Hautfalten ganz schön lange dauert.
Aber da sind die Schlitzer eigen.
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