Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten
stellen.«
»Natürlich.«
Jenny sah zum Anknuspern aus. Sie hatte ihre Beach-Bar-Klamotten abgelegt, trug eine schwarze Leinenhose und eine weiße Leinenbluse
und hatte die Haare hochgesteckt. Die Ringe unter den Augen störten den Gesamteindruck ein bisschen, aber sie war noch jung,
die würden schon wieder vergehen.
»Herr Gänsewein, ich habe natürlich wegen der Ereignisse der vergangenen Nacht einige Fragen, von denen ich hoffe, dass Sie
sie mir beantworten können, damit wir mit unseren Ermittlungen schnell vorankommen. Wie Sie wissen, ist Geschwindigkeit der
beste Ermittler.«
Das hörte sich verdächtig nach Lehrbuchgeschwurbel an, aber Martin nickte nur.
»Wer hat Informationen über die Dienstpläne der Rechtsmediziner?«
»Das müssten Sie eigentlich den Chef …«
»Herr Forch ist nicht im Haus, und seine Sekretärin Frau Blaustein sagte, dass Sie als dienstältester Kollege alle Abläufe
innerhalb des Instituts am besten kennen und erläutern können.«
»Ich bin gar nicht der …« Dienstälteste, hatte Martin sagen wollen, aber er verbiss sich die Bemerkung gerade noch. Der Dienstälteste lag auf der
Intensivstation und versuchte krampfhaft, dem Tod immer wieder von der Schippe zu kriechen.
»Die Dienstpläne werden von den Chefärzten erstellt. Wenn jemand aus persönlichen Gründen einen Dienst nicht übernehmen will
oder kann, sucht er sich selbst einen Kollegen, der bereit ist, mit ihm zu tauschen.«
»War Jochen Beckmann regulär eingeteilt oder hat er mit jemandem getauscht?«
»Er war eingeteilt.«
»Wer kennt die Dienstpläne?«
Martin blies die Backen auf. »Jeder Arzt, jeder Präparator,jeder Assistent, jede Sekretärin, der Chef … Insgesamt sicher mehr als dreißig Leute. Und sie sind nicht wirklich geheim. Vielleicht hat der eine oder andere Kollege
den Plan auch zu Hause am Kühlschrank hängen, keine Ahnung.«
»Haben Sie den Plan am Kühlschrank hängen?«
»Nein.«
»Hatten Sie in der Vergangenheit schon mal Ärger mit religiösen Gruppen, die eine Obduktion ablehnen?«
Martin erstarrte. »Nein«, sagte er zu Jenny. Dann zu mir: »Was soll die Frage?«
»Keine Ahnung«, gab ich zurück. Okay, eigentlich hatte ich noch ein bisschen schmollen wollen, aber jetzt war ich selbst so
erstaunt, dass ich ungebremst aus der Deckung kam.
»Es gibt eine Botschaft in arabischer Sprache, die in der Prosektur zurückgelassen wurde«, erläuterte Jenny. »Darin wird erklärt,
dass der Tote vor der Verstümmelung durch die Ungläubigen gerettet werden muss.«
Martin ist ein präziser Mensch, der erst nachdenkt, bevor er sich zu einem Thema äußert. Selbst zu einem derartig lächerlichen
Thema. Also dachte er nach. Überlegte, ob er jemals von Angehörigen muslimischer Leichen gehört hatte, die sich gegen eine
Obduktion ausgesprochen hatten. Ob im Islam eine solche Ablehnung bestand. Ob die Vorfälle der letzten Wochen vielleicht etwas
mit religiösen Überzeugungen zu tun hätten. Dann kam er zu einem Ergebnis.
»Blödsinn.«
Jenny verzog das müde Gesicht zu einem winzig kleinen Lächeln. »Das ist keine sehr wissenschaftliche Formulierung.«
»Ich bin kein Religionswissenschaftler, sondern Rechtsmediziner, zu dieser Frage habe ich also allerhöchstenseine private Meinung und keine wissenschaftliche. Aber wenn Sie eine etwas gefälligere Formulierung wünschen, würde ich es
so ausdrücken: Mir sind keine Fälle bekannt, in denen Vertreter des Islam eine Lehrmeinung gegen forensische Obduktionen geäußert
hätten. Es gibt zwar ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, aber wenn das gegen die Bestrafung eines Mörders oder die Entlastung
von Unschuldigen abgewogen werden muss, wird auch im Islam die Obduktion akzeptiert.«
Jenny starrte ihn erstaunt an. Sie kannte ihn offenbar noch nicht gut genug, um zu wissen, dass die Gewissenhaftigkeit, mit
der Martin seinen Beruf ausübt, auch die Kenntnis der Lehrmeinungen der wichtigsten Religionen und Philosophen zu seiner Tätigkeit
umfasst.
»Und alles, was ich über die Vorgänge der vergangenen Nacht weiß, deutet auch nicht auf eine derartige Urheberschaft hin«,
fügte Martin nachdenklich hinzu.
»Was wissen Sie denn darüber?«, frage Jenny plötzlich misstrauisch.
Martin verfluchte sich selbst für diesen Ausrutscher. Schnell rekapitulierte er alle Informationen, die er heute Morgen im
Radio gehört hatte. »Ich weiß von einem gewaltsamen Eindringen und dass Jochen übel
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