Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
drei Jahre anwerben lassen und mussten in dieser Falle auf das Schiff zurück warten. Starke Charaktere – und es brauchte eine größere Stärke, als bei ihren gefangenen Männern – hielten bis zu Vertragsende durch und fuhren zurück, ohne ihre Männer überhaupt gesehen zu haben. Den Schwachen, die sich an die Verfolgungen auf dem »Festland« erinnerten und Angst hatten, dorthin zurückzukehren, blieb es in der Atmosphäre der Ausschweifung, der Tollheit, des Suffs und des großen Geldes nur, neu und wieder neu zu heiraten, Kinder in die Welt zu setzen und ihren gefangenen Mann und sich selbst verlorenzugeben.
Die Frau von Pawel Michajlowitsch Kriwoschej fand in Arkagala, wie zu erwarten, keine Arbeit und fuhr nach kurzer Zeit in die Hauptstadt der Region, in die Stadt Magadan. Nachdem sie sich dort als Buchführerin hatte einstellen lassen – Angelina Grigorjewna hatte keinen Beruf, sie war ihr Leben lang Hausfrau gewesen –, suchte sich die Frau Kriwoschejs einen Winkel und lebte in Magadan, wo es trotz allem lustiger war als in der Tajga – in Arkagala.
Und von dort traf über einen geheimen Kanal in dasselbe Magadan, an den Chef der Ermittlungsabteilung, einer Einrichtung, die sich auf derselben, der beinahe einzigen Straße befand, wo auch die in Verschläge unterteilte Baracke für Verheiratete lag, in der Angelina Grigorjewna Unterschlupf gefunden hatte, die chiffrierte Dienstmeldung ein: »Geflohen Hftl. Kriwoschej Pawel Michajlowitsch, Jahrgang 1900, Artikel 168, Haftdauer 10, Nummer der Lagerakte …«
Man dachte, dass ihn seine Frau in Magadan versteckt. Man verhaftete die Frau, doch konnte von ihr nichts erfahren. Ja, ich war dort, habe ihn gesehen, bin abgereist, arbeite in Magadan. Die anhaltende Observation, die Beobachtung brachte keinerlei Ergebnisse. Man verstärkte die Kontrolle der abgehenden Dampfer, der abfliegenden Flugzeuge, aber alles war umsonst – keine Spur des Mannes von Angelina Grigorjewna.
Kriwoschej war in die dem Meer entgegengesetzte Richtung gelaufen und hielt Kurs auf Jakutsk. Er lief ohne Gepäck. Außer einem Zelttuchmantel, einem Geologenhammer und einer Tasche mit einer kleinen Zahl von »Mustern« geologischer Proben, einem Vorrat an Streichhölzern und einem Vorrat an Geld – hatte er nichts bei sich.
Er lief offen und ohne Eile, über Packpferdwege und Rentierpfade, hielt sich an Feldhütten und Siedlungen, ohne tief in die Tajga abzuschweifen, und schlief jedesmal unter einem Dach – einer Laubhütte, eines Nomadenzelts, eines Bauernhauses … In der ersten großen Jakutensiedlung heuerte er Arbeiter an, die nach seiner Anweisung Schurfgraben, Probe-Rinnen aushoben, kurz, dieselbe Arbeit machten, die sie früher schon einmal für wirkliche Geologen gemacht hatten. Kriwoschejs technisches Wissen reichte aus für die Arbeit eines Probensammlers, außerdem war Arkagala, wo er ungefähr ein Jahr gelebt hatte, das letzte Basislager vieler Geologentrupps, und Kriwoschej hatte sich die Umgangsformen und Gewohnheiten der Geologen abgeschaut. Die Langsamkeit der Bewegungen, die Hornbrille, die tägliche Rasur, gefeilte Nägel – all das weckte grenzenloses Vertrauen.
Kriwoschej beeilte sich nicht. Er füllte die Reisekladde mit geheimnisvollen Zeichen, die ein wenig den Feldjournalen der Geologen ähnelten. Er kam langsam voran, bewegte sich aber unbeirrt auf Jakutsk zu.
Manchmal ging er sogar ein Stück zurück oder vom Weg ab, hielt sich auf – all das war notwendig für die »Untersuchung des Beckens des Rjaboj-Bachs«, für die Glaubwürdigkeit, zur Verwischung der Spuren. Kriwoschej besaß Nerven aus Stahl, und das freundliche Lächeln des Sanguinikers blieb immer auf seinem Gesicht.
Nach einem Monat überschritt er das Jablonowy-Gebirge, zwei Jakuten, von der Kolchose für die wichtige Regierungsarbeit freigestellt, trugen seine Taschen mit den »Mustern«.
Sie näherten sich allmählich Jakutsk. In Jakutsk gab Kriwoschej seine Steine in die Gepäckaufbewahrung am Dampfer-Anleger und begab sich in die örtliche Geologische Verwaltung – mit der Bitte, ihm beim Verschicken einiger wichtiger Pakete nach Moskau, in die Akademie der Wissenschaften, zu helfen. Pawel Michajlowitsch ging ins Badehaus, zum Friseur, kaufte sich einen teuren Anzug, ein paar bunte Hemden und Wäsche, dann kämmte er seine sich lichtenden Haare und erschien bei der obersten wissenschaftlichen Leitung, gutmütig lächelnd.
Die oberste wissenschaftliche Leitung verhielt sich
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