Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
niedrigen, schäbigen Bedürfnisse und Wünsche.
Pawel Michajlowitsch hatte sich auch dazu Kenntnisse in der Malerei zugelegt, um den eigenen Preis in die Höhe zu treiben, um unter Kennern und Liebhabern einen hohen Rang zu belegen und sich nicht zu blamieren vor seiner nächsten rein sinnlichen Leidenschaft von weiblichem oder männlichem Geschlecht. An sich ließ ihn die Malerei vollkommen kalt und interessierte ihn nicht, aber selbst zum Vierecksaal des Louvre eine Meinung zu haben hielt er für seine Schuldigkeit.
Ganz genauso auch die Literatur, die er dann und wann las, und vorzugsweise auf französisch oder englisch, und vorzugsweise – um der Sprachpraxis willen, die Literatur an sich interessierte ihn wenig, und an einem Roman konnte er endlos lesen, eine Seite vor dem Schlafengehen. Und selbstverständlich sollte man nicht denken, dass es auf der Welt ein Buch gäbe, das Pawel Michajlowitsch bis in den Morgen lesen würde. Seinen Schlaf schützte er sorgfältig, und kein Kriminalroman hätte Kriwoschejs maßvolle Lebensweise stören können.
In der Musik war Pawel Michajlowitsch vollkommener Laie. Er hatte kein Ohr, und von Bloks Verständnis von der Musik hatte er nicht einmal gehört. Aber Kriwoschej hatte längst begriffen, dass das Fehlen eines musikalischen Ohrs »kein Fehler, sondern ein Unglück« sei, und fand sich damit ab. Auf jeden Fall besaß er die Geduld, sich eine Fuge oder Sonate anzuhören und dem Musiker oder vielmehr der Musikerin dafür zu danken.
Er war von hervorragender Gesundheit, von pyknischem Körperbau, mit einer gewissen Neigung zur Fülligkeit, was im Übrigen im Lager keine Gefahr darstellte.
Geboren war Kriwoschej im Jahr 1900.
Er trug immer eine Brille, Horngestell oder randlos, mit runden Gläsern. Schwerfällig, langsam, mit hoher, kahl werdender, runder Stirn, war Pawel Michajlowitsch Kriwoschej eine äußerst imposante Figur. Hier gab es wahrscheinlich auch ein Kalkül – die großartigen Umgangsformen machten Eindruck auf die Leitung und sollten Kriwoschej das Schicksal im Lager erleichtern.
Der Kunst fern, fern der künstlerischen Erregung des Schöpfers oder Konsumenten, fand Kriwoschej seine Bestimmung in der Sammlertätigkeit, in den Antiquitäten. Dieser Sache widmete er sich mit aller Leidenschaft – sie war so lohnend wie interesssant und vermittelte Kriwoschej neue Bekanntschaften. Schließlich adelte ein solches Hobby die niederen Begierden des Ingenieurs.
Das Ingenieursgehalt – der »Sondersatz« der damaligen Zeiten – reichte nicht mehr aus für jenes flotte Leben, das Pawel Kriwoschej, der Hobby-Antiquitätensammler führte.
Er brauchte Mittel, staatliche Mittel, und die Entschlossenheit konnte man Pawel Michajlowitsch wirklich nicht absprechen.
Er erhielt Erschießung mit Umwandlung in zehn Jahre – eine für Mitte der dreißiger Jahre gewaltige Haftzeit. Das heißt, es gab Millionenbetrügereien. Sein Vermögen wurde konfisziert und kam unter den Hammer, aber natürlich hatte Pawel Michajlowitsch ein solches Finale vorausgesehen. Es wäre seltsam gewesen, wenn Kriwoschej nicht ein paar Hunderttausend hätte verstecken können. Das Risiko war gering, die Rechnung einfach. Kriwoschej war ein
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, er wird, als »Volksfreund«, die halbe Haft oder noch weniger abbüßen und nach Anrechung der Arbeitstage oder nach einer Amnestie entlassen werden und die weggesteckten Gelder verleben.
Allerdings behielt man Kriwoschej nicht lange im Festlandlager – als Langfristiger wurde er an die Kolyma gebracht. Das komplizierte seine Pläne, allerdings ging das Spekulieren auf seinen Artikel und auf seine Herren-Manieren voll auf – bei den allgemeinen Arbeiten im Bergwerk war Kriwoschej nicht einen Tag. Bald wurde er in seinem Beruf als Ingenieur im Chemielaboratorium des Kohlereviers von Arkagala eingesetzt.
Das war die Zeit, als das berühmte Gold von Tschaj-Urju noch nicht entdeckt war und dort, wo heute zahlreiche Siedlungen mit Tausenden Bewohnern liegen, noch die alten Lärchen und sechshundertjährigen Pappeln standen. Das war die Zeit, als noch niemand dachte, dass die Goldklumpen des At-Urjach-Tals zu erschöpfen oder zu übertreffen wären; und das Leben hatte sich noch nicht in den Nordosten verlagert, in Richtung auf den damaligen Kältepol – Ojmjakon. Die alten Fundorte wurden ausgebeutet, neue eröffnet. Das Grubenleben ist ein ewiges Provisorium.
Die Kohle von Arkagala – des künftigen Reviers von Arkagala – war der
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