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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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überwältigten, hatte sich herausgestellt, dass nicht alle bei der Flucht dabei waren – es fehlte der Brigadier Pjotr Kusnezow, ein Freund von Oberstleutnant Janowskij. Man hatte ihn unerwartet in die Nachtschicht verlegt, für den erkrankten Vorarbeiter. Janowskij wollte nicht ohne den Kameraden gehen, mit dem er vieles gemeinsam erlebt, vieles geplant hatte. Man schickte in die Produktion nach dem Brigadier, und Kusnezow erschien und zog Soldatenkleidung an. Der Kommandeur des überfallenen Wachtrupps und der Lagerchef kamen erst aus ihren Wohnungen, als sie von ihren Ordonnanzen erfuhren, dass die Flüchtigen das Lagergelände verlassen hatten.
    Die Telefonleitung war durchschnitten, und in die nächste Lagerabteilung konnte man erst dann von der Flucht berichten, als die Flüchtigen schon auf der Trasse waren, auf der zentralen Chaussee.
    Auf der Trasse hielten die Flüchtigen das erste unbeladene Fahrzeug an. Mit einem Revolver bedroht, verließ der Fahrer die Kabine, und Kobaridse, der Jagdflieger, übernahm das Lenkrad. Janowskij setzte sich neben ihn in die Kabine und breitete auf den Knien die im Wachtrupp mitgenommene Karte aus; und das Fahrzeug jagte davon nach Sejmtschan – zum nächsten Flugplatz. Ein Flugzeug ergreifen und davonfliegen!
    Der zweite, dritte, vierte Abzweig nach links. Der fünfte Abzweig!
    Das Fahrzeug bog nach links von der großen Chaussee ab und jagte oberhalb eines brausenden Flusses, parallel zum zerklüfteten, am Ufer aufgetürmten Eis eine schmale, gewundene, unter den Rädern knirschende steinige Straße entlang. Kobaridse verminderte die Geschwindigkeit – wie leicht konnte man die Böschung hinunter ins Wasser stürzen aus zehn Klaftern Höhe. Unten, am Flüsschen, waren die kleinen, spielzeugartigen Häuschen der Außenstelle zu sehen. Die Straße schlängelte sich, umrundete Fels um Fels und führte bergab – das Fahrzeug fuhr den Pass hinunter. Die Häuschen der Siedlung tauchten ganz in der Nähe aus der Tajga auf, und Janowskij sah durch die Frontscheibe der Fahrerkabine einen Soldaten, der mit gefälltem Gewehr auf das Fahrzeug zulief.
    Der Soldat sprang zur Seite, das Auto schoss vorbei, und sofort knallten abgerissene Schüsse hinter den Flüchtigen her – die Wache war schon benachrichtigt.
    Janowskij hatte den Entschluss schon im Voraus gefasst, und nach etwa zehn Kilometern hielt Kobaridse das Fahrzeug an. Die Flüchtigen verließen den Lastwagen, stiegen durch den moosbewachsenen Graben und tauchten ein in die Tajga, verschwanden. Bis zum Flugplatz waren es noch siebzig Kilometer, und Janowskij hatte beschlossen, drauflos zu gehen.
    Sie übernachteten in einer Höhle in der Nähe eines Bergbachs, alle zusammen, sich aneinander wärmend und von einem Vorposten bewacht.
    Am Morgen des anderen Tages, kaum dass sich die Flüchtigen auf den Weg gemacht hatten, stießen sie auf eine Fahndergruppe – eine lokale Gruppe durchforstete den Wald. Vier Fahnder fielen von den ersten Schüssen der Flüchtigen. Janowskij ließ den Wald anstecken – der Wind blies in Richtung der Verfolger, und die Flüchtigen liefen weiter.
    Doch schon rasten über alle Straßen der Kolyma Lastwagen mit Soldaten – die unsichtbare Armee der regulären Truppen kam der Lagerwache und der Operativgruppe zu Hilfe. Auf der zentralen Chaussee fuhren Dutzende Militärfahrzeuge hin und her.
    Die Straße nach Sejmtschan war über viele Dutzend Kilometer vollgestopft mit Armeeeinheiten. Die höchsten Chefs der Kolyma persönlich leiteten die seltene Operation.
    Janowskijs Plan war durchschaut, und zur Bewachung des Flugplatzes hatte man eine solche Menge von regulären Truppen mobilisiert, dass sie kaum auf den Zufahrtswegen zum Flugplatz Platz fanden.
    Gegen Abend des zweiten Tages wurde Janowskijs Gruppe erneut entdeckt und nahm den Kampf auf. Die Truppenabteilung ließ zehn Gefallene vor Ort zurück. Janowskij, die Windrichtung nutzend, zündete wieder die Tajga an und entkam wieder, über einen großen Bergbach setzend. Das dritte Nachtlager der Flüchtigen, die noch immer keinen einzigen Mann verloren hatten, wählte Janowskij in einem Sumpf, in dem Schober standen.
    Die Flüchtigen übernachteten in den Schobern, und als die weiße Nacht zu Ende war, als die Tajga-Sonne die Wipfel der Bäume erleuchtete, sah man, dass die Tajga von Soldaten umstellt war. Fast ohne sich zu verstecken liefen die Soldaten von Baum zu Baum.
    Der Kommandeur jener selben Einheit, den die Flüchtigen zu Beginn

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