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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Die Gruppe mit der Waffe, die sie dem Begleitposten abgenommen hatte, wurde komplett erschossen. Zwei Gruppen fasste man einen Tag später, und die letzte – am vierten Tag. Diese wurde gleich ins Krankenhaus gebracht: alle hatten Erfrierungen vierten Grades, an Händen und Füßen – der Frost der Kolyma, die Natur der Kolyma waren immer im Bund mit der Leitung, waren dem einsamen Flüchtling feind.
    Die Flüchtigen lagen lange im Krankenhaus in einem Extra-Zimmer, an dessen Tür ein Begleitposten saß – es war zwar ein Häftlings-, aber kein
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-Krankenhaus. Alle fünf wurden amputiert, mal eine Hand, mal ein Fuß, und bei zweien gleich beide Füße.
    So wurde der Frost der Kolyma mit den eiligen und naiven Neulingen fertig.
    All das wusste sehr genau Oberstleutnant Janowskij. Oberstleutnant war er im Übrigen im Krieg gewesen, hier war er der Häftling Janowskij, Kulturorganisator einer großen Lagerabteilung. Diese Abteilung war gleich nach dem Krieg nur aus Neulingen gebildet worden, aus Kriegsverbrechern, Wlassow -Leuten, aus Kriegsgefangenen, die in deutschen Einheiten gedient hatten, aus
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und Bewohnern von durch die Deutschen okkupierten Dörfern, die der Freundschaft mit den Deutschen verdächtigt wurden.
    Hier waren Leute, hinter denen die Erfahrung des Krieges lag, die Erfahrung der täglichen Begegnung mit dem Tod, die Erfahrung des Risikos, die Erfahrung einer animalischen Geschicklichkeit im Kampf um das eigene Leben, die Erfahrung des Tötens.
    Hier waren Leute, die schon aus deutscher wie aus russischer, wie aus englischer Gefangenschaft geflohen waren … Leute, die es gewohnt waren, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, Leute mit einem am Vorbild und der Anleitung geschulten Mut. Aufklärer und Soldaten, die gelernt hatten zu töten, führten nun den Krieg unter neuen Bedingungen weiter, den Krieg um sich selbst – gegen den Staat.
    Die Leitung, den Umgang mit gehorsamen »Trotzkisten« gewohnt, ahnte nicht, dass sie es hier mit Leuten vor allem der Tat, des Handelns zu tun hatte.
    Wenige Monate vor den Ereignissen, von denen die Rede sein wird, besuchte dieses Lager ein hoher Chef. Als er sich mit dem Leben der Neulinge und ihrer Arbeit in der Produktion bekannt machte, klagte der Chef, dass die Kulturarbeit, die Laienkunst im Lager zu wünschen übrig lasse. Und der ehemalige Oberstleutnant Janowskij, Kulturorganisator des Lagers, meldete ehrerbietig: »Machen Sie sich keine Sorgen, wir bereiten ein Spektakel vor, von dem die ganze Kolyma sprechen wird.«
    Das war ein sehr gewagter Satz, doch damals achtete niemand darauf, wovon übrigens Janowskij überzeugt war.
    Den ganzen Winter über wurden langsam, einer nach dem anderen die Teilnehmer an der künftigen, für das Frühjahr vorgesehenen Flucht auf Posten in der Lagerversorgung befördert und zusammengestellt. Der Arbeitsanweiser, der Älteste, der Feldscher, der Friseur und der Brigadier, alle zivilen Posten wurden mit Leuten besetzt, die Janowskij selbst auswählte. Hier gab es Flieger, Fahrer, Aufklärer – all die, die der kühn erdachten Flucht zum Erfolg verhelfen konnten. Die Verhältnisse der Kolyma wurden studiert, niemand unterschätzte die Schwierigkeiten und machte einen Fehler. Das Ziel war die Freiheit – oder das Glück, nicht an Hunger, nicht an Schlägen, nicht auf der Lagerpritsche zu sterben, sondern im Kampf, mit der Waffe in der Hand.
    Janowskij verstand, wie wichtig, wie unentbehrlich es für seine Kameraden war, sich die physische Kraft, die Ausdauer zu bewahren neben der moralischen, der geistigen Kraft. Auf den Posten in der Versorgung konnte man beinahe satt sein, stark bleiben.
    Es kam der gewöhnliche stumme Frühling an der Kolyma – ohne Vogelgezwitscher, ohne einen einzigen Regen. Die Lärchen bedeckten sich mit hellgrünen jungen Nadeln, der schüttere kahle Wald wurde quasi dichter, die Bäume rückten näher zusammen und versteckten mit ihren Ästen Menschen und Tiere. Es begannen die weißen, genauer, die blasslila Nächte …
    Die Wache am Lagertor hat zwei Türen, nach draußen und nach innen ins Lager, das ist die spezifische Architektur von derartigen Gebäuden. Die Aufseher tun zu zweit Dienst.
    Genau um fünf Uhr morgens wurde ans Fensterchen der Wache geklopft. Der diensthabende Aufseher sah durch die Scheibe – da kam der Lagerkoch Soldatow wegen des Schlüssels für den Schrank mit den Lebensmitteln; der Schlüssel hing bei der Wache, an einem Nagel, der in die Wand geschlagen war.

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