Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
– jeder verarbeitete die Nachricht selbst.
Schon blinkten die Lichter der Siedlung. Den Kriechenden kamen ihre Frauen, Untergebenen und Chefs entgegen. Mir kam niemand entgegen – ich musste selbst bis zur Baracke kriechen, bis zum Zimmer, zum Bett, Feuer machen und den Eisenofen heizen. Und als mir warm geworden war, ich mich sattgetrunken hatte am warmen Wasser, das ich im Becher direkt im Ofen, auf dem brennenden Holz, gewärmt hatte, richtete ich mich vor dem Feuer auf und spürte, wie das warme Licht über mein Gesicht lief – nicht die gesamte Gesichtshaut war ja erfroren gewesen, es gab ja erhaltene Flecken, Stellen, Teile –, und fasste einen Entschluss.
Am nächsten Tag reichte ich meine Entlassung ein.
»Die Entlassung liegt in Gottes Hand«, sagte spöttisch der Revierchef, doch er nahm die Eingabe an, und mit der nächsten Kurierpost ging diese Eingabe ab.
»Ich bin seit siebzehn Jahren an der Kolyma. Ich bitte um meine Entlassung. Als ehemaliger Häftling habe ich keinerlei Anrecht auf Dienstjahre und Zuschläge. Kosten entstehen dem Staat aus meiner Entlassung fast nicht. Ich bitte.« Nach zwei Wochen erhielt ich eine ablehnende Antwort ohne jede Begründung. Sofort schrieb ich einen Protestbrief an den Staatsanwalt und forderte seine Einmischung und so weiter.
Es ging mir darum, wenn irgendeine Hoffnung auftauchte – sollten alle juristischen Fesseln gelöst oder zerschlagen sein, damit mich die Formalitäten, die Papiere nicht aufhielten. Höchstwahrscheinlich war mein Briefwechsel nutzlos. Doch wer weiß …
Im Klub wurden die Berija-Portraits abgerissen, und ich schrieb die ganze Zeit, schrieb … Die Verhaftung Berijas bestärkte mich nicht in meinen Hoffnungen. Jene Ereignisse vollzogen sich quasi von selbst, und ihre geheime Verbindung mit meinem Schicksal war nicht sehr spürbar. Nicht über Berija musste ich nachdenken.
Der Staatsanwalt antwortete nach zwei Wochen. Das war ein Staatsanwalt, der in der benachbarten Verwaltung hohe Posten innegehabt hatte. Der Staatsanwalt war abgesetzt und in einen Krähwinkel versetzt worden. Die Frau des Staatsanwalts handelte zum verzehnfachten Preis mit Nähmaschinen – darüber wurde sogar eine Glosse geschrieben. Der Staatsanwalt versuchte, sich mit der gewöhnlichsten Waffe zu verteidigen – er machte Meldung, dass der Gehilfe des Verwaltungschefs Asbukin unter den Häftlingen mit Machorka handelte, für zehn Rubel die Selbstgedrehte. Und die Machorka bekommt er in Paketen per Flugzeug vom Festland, fast mit der Diplomatenpost – nach den besonderen Gewichtsnormen für die oberste Leitung, und machmal auch außerhalb jeder Norm. An den Tisch des Verwaltungschefs setzten sich jeden Tag zwanzig Personen, und kein Polarsatz, keine Dienstjahre konnten die Ausgaben für Wein und für Früchte decken. Der Verwaltungschef war ein liebevoller Familienvater, Vater zweier Kinder. Alle Kosten deckte der Verkauf der Machorka – zehn Rubel die Selbstgedrehte; acht Streichholzschachteln, sechzig Papirossy in der Achterpackung. Sechshundert Rubel die Achterpackung von fünfzig Gramm – das lohnt die Mühe.
Der Staatsanwalt, der die Bereicherungsmethode angetastet hatte, wurde sofort abgesetzt und zu uns, in den Krähwinkel versetzt. Der Staatsanwalt wachte über die Einhaltung des Gesetzes, antwortete schnell auf Briefe, inspiriert vom Hass auf die Leitung, angestachelt durch den Kampf mit der Leitung.
Ich schrieb eine zweite Eingabe: »Mir wurde die Entlassung verweigert. Nun, unter Beilage einer Bescheinigung des Staatsanwalts …«
Nach zwei Wochen erhielt ich eine Ablehnung. Ohne jede Begründung – als bräuchte ich einen Auslandspass, bei dem man die Gründe der Ablehnung nicht darlegt.
Ich schrieb an den Gebietsstaatsanwalt, den Staatsanwalt des Gebiets Magadan, und bekam die Anwort, dass ich ein Recht auf Entlassung und Ausreise habe. Der Kampf der höheren Mächte war in ein neues Stadium getreten. Jedes Herumwerfen des Steuerruders hinterließ Spuren in Gestalt zahlreicher Befehle, Erläuterungen, Bewilligungen. Man erkannte eine gewisse Übereinstimmung, meine Eingaben trafen, wie die Ganoven sagen, »ins Schwarze«. Ins Schwarze der Zeit?
Nach zwei Wochen erhielt ich eine Ablehnung. Ohne jede Begründung. Und obwohl ich viele Male flehentliche Briefe an meinen Chef schrieb – an den Chef der Sanitätsabteilung der Verwaltung, Feldscher Zapko – erhielt ich von Zapko keinerlei Antwort.
Dreihundert Kilometer waren es von meinem
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