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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Abschnitt bis zur Direktion, bis zum nächsten ärztlichen Abschnitt.
    Ich verstand, dass ich persönlich vorsprechen musste. Und Zapko reiste zusammen mit dem neuen Lagerchef an und versprach mir vieles, versprach alles – sogar die Entlassung.
    »Ich stelle alles zusammen, wenn wir zurück sind. Bleib noch den Winter über hier. Im Frühjahr fährst du.«
    »Nein. Selbst wenn man mich nicht ganz freilässt, gehe ich auf jeden Fall aus Ihrer Verwaltung weg.«
    Wir gingen auseinander. Der August war vorbei, der September kam. Die Rückwanderung der Fische aus den Bächen war zu Ende. Aber mich interessierten weder die Reusen noch die Sprengungen, nach denen der Fisch aufschwamm und die gelben Bäuche der Buckel- und Ketalachse auf den Wellen des Bergflusses schaukelten, in Flusseinbuchtungen getragen wurden und faulten, verdarben.
    Es musste eine Gelegenheit kommen. Und die Gelegenheit kam. Unser Revier besuchte der Chef der Straßenverwaltung selbst, der Ingenieur und Oberst Kondakow. Er übernachtete in der Hütte des Revierchefs. In Eile, in der Angst, dass Kondakow einschläft, klopfte ich an die Tür.
    »Herein!«
    Kondakow saß am Tisch, hatte die Uniformjacke aufgeknöpft und rieb sich eine vom Kragen geriebene rote Spur, die sich um den runden weißen Hals zog.
    »Der Revierfeldscher. Erlauben Sie, mich in einer persönlichen Sache an Sie zu wenden.«
    »Unterwegs spreche ich mit niemandem.«
    »Das habe ich vorausgesehen«, sagte ich kühl und ruhig. »Ich habe einen Brief mit der Eingabe vorbereitet. Hier ist der Umschlag – dort ist alles gesagt. Seien Sie so gütig, ihn zu lesen, wann es Ihnen passt.«
    Kondakow wurde verlegen, und er ließ den Kragen seiner Feldbluse sein. Immerhin war Kondakow Ingenieur, ein Mann mit höherer, wenn auch technischer Bildung.
    »Setzen Sie sich. Berichten Sie, worum es geht.«
    Ich setzte mich und berichtete.
    »Wenn alles so ist, wie Sie sagen, verspreche ich Ihnen, Sie zu entlassen, sobald ich in der Verwaltung zurück bin. In etwa zehn Tagen.«
    Und Kondakow schrieb meinen Namen in ein winziges Büchlein.
    Nach zehn Tagen rief man mich aus der Verwaltung an – Freunde riefen an, wenn ich dort Freunde hatte. Oder einfach Neugierige, Zuschauer und nicht Schauspieler, die ruhig über viele Stunden, über viele Jahre verfolgen, wie sich der Fisch aus der zerrissenen Reuse herausreißt, wie der Fuchs sich die Pfote abnagt, um aus dem Fangeisen herauszukommen. Sie verfolgen es, ohne einen Versuch zu machen, das Fangeisen zu lösen und den Fuchs freizulassen. Sie verfolgen einfach den Kampf zwischen Tier und Mensch.
    Ein Telephonogramm – aus dem Revier in die Verwaltung auf meine eigenen Kosten. Die Erlaubnis für ein solches Telegramm hatte ich beim Revierchef erbeten … Keinerlei Antwort.
    Der Kolyma-Winter kam. Eis überzog die Bäche, und nur hier und da in den Stromschnellen floss, lief und lebte das Wasser und dampfte wie Lokomotivenrauch.
    Ich musste schnell machen, schnell.
    »Ich verlege einen Schwerkranken in die Verwaltung«, trug ich dem Chef vor. Der Kranke hatte einen Anfall von geschwüriger Stomatitis infolge von Unterernährung, Avitaminose, eine geschwürige Stomatitis, die so leicht mit Diphterie zu verwechseln ist. Zu solchen Verlegungen hatten wir das Recht; mehr noch – wir waren zum Verlegen verpflichtet. Laut Befehl, laut Gesetz, nach dem Gewissen.
    »Und wer wird ihn begleiten?«
    »Ich.«
    »Selbst?«
    »Ja. Wir schließen die Sanitätsstelle für eine Woche.«
    Solche Fälle hatte es auch früher gegeben, und der Chef wusste das.
    »Ich nehme das Inventar auf. Zur Vermeidung von Diebstahl. Und der Schrank wird vom Bevollmächtigten versiegelt.«
    »Das ist richtig.« Der Chef beruhigte sich.
    Wir fuhren per Anhalter, froren durch und wärmten uns alle dreißig Kilometer – und am dritten Tag, noch bei Licht, erreichten wir die Verwaltung im gelb-weißen Tagesnebel der Kolyma.
    Der erste Mensch, den ich sah, war der Feldscher Zapko, der Chef der Sanitätsabteilung.
    »Ich bringe einen Schwerkranken«, meldete ich, aber Zapko sah nicht den Kranken an, sondern die Koffer – ich hatte sogar Koffer, aus Sperrholz, selbstgemachte, in denen Bücher waren, mein billiger Baumwollanzug, Wäsche, ein Kissen, eine Decke … Zapko hatte alles verstanden.
    »Ohne den Chef gebe ich keine Erlaubnis zur Abreise.«
    Wir gingen zum Chef. Das war ein kleiner Chef im Vergleich zu Ingenieur-Oberst Kondakow. An der mangelnden Härte seines Tons, an der mangelnden

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