Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
des unmittelbaren Nutzens ganz unschuldig ist im Vergleich zur düsteren Ganovenpraxis.
Die Chefs (die »Cheflein«, wie die Ganoven sie nennen) wurden immer betrogen und übertölpelt …
Und zur gleichen Zeit nahm man in den Städten mit unbegreiflicher Beharrlichkeit das durch und durch falsche und schädliche Stück von Pogodin wieder auf, und neue Generationen von »Cheflein« eigneten sich Kostja-Kapitäns Begriffe von »Ehre« an.
Alle Erziehungsarbeit an den Dieben, auf die Millionen staatlicher Gelder verschleudert wurden, all diese phantastischen »Umschmiedungen« und Legenden vom Weißmeerkanal, die schon längst in aller Munde und Gegenstand müßiger Witze der Ganoven waren, alle Erziehungsarbeit hing an etwas so Ephemerem wie dem »Ehrenwort eines Diebes«.
»Beachten Sie«, sagt ein Spezialist für die Ganovenwelt, der sich »vollgestopft« hat mit Babel und Pogodin, »Kostja-Kapitän hat nicht etwa sein Ehrenwort gegeben, sich zu bessern. Mich alten Fuchs führt man nicht so leicht hinters Licht. Ich bin kein solcher
frajer
, um nicht zu begreifen, dass ein Ehrenwort sie nichts kostet. Aber Kostja-Kapitän hat ja sein ›Ehrenwort eines Diebes‹ gegeben. Eines Diebes! Das ist es eben. Dieses sein Wort darf er nicht brechen. Das lässt sein ›aristokratisches‹ Ehrgefühl nicht zu. Er wird sterben vor Selbstverachtung, wenn er das ›Ehrenwort eines Diebes‹ bricht.«
Armer, naiver Chef! Einem
frajer
sein Ehrenwort als Dieb zu geben, ihn zu betrügen und dann den Schwur mit Füßen zu treten und zu brechen – das ist das Ruhmesblatt des Diebes und Gegenstand prahlerischer Faseleien auf irgendeiner Gefängnispritsche.
Viele Fluchten wurden erleichtert und vorbereitet durch das beizeiten gegebene »Ehrenwort eines Diebes«. Wenn jeder Chef wüsste (aber das wissen nur Chefs, die durch vieljährige Erfahrung im Umgang mit den »Kapitänen« gewitzt sind), was der Schwur eines Diebes wert ist, und ihn gebührend einschätzen würde – gäbe es sehr viel weniger Blut und Grausamkeiten.
Aber vielleicht verrechnen wir uns, wenn wir versuchen, diese beiden unterschiedlichen Welten zu verbinden – die der »
frajer
« und die der »
urki
«?
Vielleicht haben die Gesetze der Ehre und der Moral in der Welt der »Gauner« ihre eigene Gültigkeit, und wir haben einfach kein Recht, unsere moralischen Maßstäbe auf die Welt der Ganoven anzuwenden?
Vielleicht ist das »Ehrenwort des Diebes«, wenn es nicht einem
frajer
, sondern einem »Dieb im Gesetz« gegeben wird, ein wirkliches Ehrenwort?
Das ist eben jenes romantische Element, das das Jünglingsherz bewegt und gewissermaßen als Rechtfertigung dient, das dem Leben der Diebe und den Beziehungen der Menschen innerhalb dieser Welt den Geist einer gewissen, wenn auch eigentümlichen, »moralischen Rechtschaffenheit« verleiht. Vielleicht ist der Begriff Gemeinheit ein anderer in der Welt der
frajer
und in der Ganovengesellschaft? Die Seelenregungen der
urki
steuert sozusagen ein eigenes Gesetz. Und nur von ihrem Standpunkt aus gesehen können wir das Spezifische der Moral der Diebe verstehen und sogar
de facto
anerkennen.
So zu denken sind auch einige der klügeren Ganoven nicht abgeneigt. Sind nicht abgeneigt, die Einfaltspinsel auch in dieser Frage »einzuseifen«.
Jede blutige Gemeinheit gegenüber einem
frajer
ist durch die Gesetze der Ganovenwelt gerechtfertigt und sanktioniert. Aber vor den eigenen Kameraden muss der Dieb, so könnte man glauben, ehrlich sein. Dazu rufen ihn die Gesetzestafeln des Ganovengesetzes auf, und für den Verstoß gegen diese »Kameradschaftlichkeit« erwartet ihn eine grausame Vergeltung.
Hier haben wir wieder theatralische Affektiertheit und prahlerische Lüge vom ersten bis zum letzten Wort. Man sehe sich nur an, wie sich die Gesetzgeber der Ganovenmoden unter schwierigen Verhältnissen benehmen, wenn wenig
frajer
-Material zur Hand ist, wenn sie im eigenen Saft schmoren müssen.
Ein einflussreicherer Dieb, mit mehr »Autorität« (das Wort »Autorität« ist bei den Dieben sehr im Schwange – »er ist jetzt eine Autorität« etc.), der physisch Stärkere hält sich durch den Druck auf die kleineren Diebe, die ihm Essen holen und ihn bedienen. Und wenn jemand arbeiten gehen muss, dann schickt man die eigenen schwächeren Kameraden zur Arbeit, und die Ganovenspitze verlangt von ihnen, den eigenen Kameraden, dasselbe, was sie früher von den
frajern
forderte.
Die furchtgebietende Redensart »stirb du heute und
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