Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
von seiner psychologischen Intensität kein Vergleich mit den mageren »Jüngern Jesu« und »Timur und sein Trupp« . Böses zu tun ist erheblich verlockender als Gutes zu tun. Wenn er mit klopfendem Herzen in diese Diebesunterwelt eintritt, sieht der Junge neben sich die Leute, vor denen sich Papa und Mama fürchten. Er sieht ihre scheinbare Unabhängigkeit und ihre falsche Freiheit. Ihre prahlerischen Lügen nimmt der Junge für bare Münze. In den Ganoven sieht er Menschen, die die Gesellschaft herausfordern. Anstelle des mühsamen Erwerbs der Arbeitskopeke sieht der Junge die »Großzügigkeit« des Diebes, der nach dem geglückten Raub »schick« mit Geldscheinen um sich wirft. Er sieht, wie der Dieb trinkt und feiert, und diese Bilder der Ausschweifung schrecken den Jüngling längst nicht immer ab. Er vergleicht die langweilige, alltägliche, bescheidene Arbeit von Vater und Mutter mit der »Arbeit« in der Diebeswelt, in der man, wie es scheint, nur kühn sein muss …
Der Junge denkt nicht daran, wie viel fremde Arbeit und fremdes menschliches Blut dieser sein Held achtlos geraubt hat und vergießt. Dort gibt es immer Wodka, »Stoff«, Kokain, und man lässt den Jungen trinken, und ihn packt der begeisterte Wunsch nach Nachahmung.
Unter seinen Altersgenossen, den ehemaligen Kameraden, bemerkt er eine gewisse Entfremdung, vermischt mit Furcht, und in seiner kindlichen Naivität fasst er diese als Achtung vor sich auf.
Und das Wichtigste – er sieht, dass alle Angst haben vor den Dieben, Angst haben, dass jeder Dieb sie erstechen, ihnen die Augen ausstechen könnte …
In der »Spelunke« erscheint irgendein Iwan Korsubyj aus dem Gefängnis und bringt Tausende Geschichten mit: wen er gesehen hat, wer wofür und für wie lange verurteilt wurde – all das ist gefährlich und fesselnd.
Der Jüngling sieht, dass Menschen leben und ohne das auskommen, was die ständige Sorge in der Familie ist.
Und bald ist der Jüngling richtig betrunken, bald schlägt er schon eine Prostituierte – Er muss die Weiber schlagen können! –, das ist eine der Traditionen des neuen Lebens.
Der Jüngling träumt vom letzten Schliff, von der endgültigen Aufnahme in den Orden. Das heißt – das Gefängnis, das er gelernt hat nicht zu fürchten.
Die Alten nehmen ihn mit »auf Tour« – fürs erste irgendwo »Butter (Schmiere) stehen«. Bald schon vertrauen ihm die erwachsenen Diebe, und bald schon stiehlt er selbst und »bestimmt« selbst.
Er nimmt schnell ihre Umgangsformen an, das unbeschreiblich dreiste Lächeln und den Gang, krempelt die Hosen auf besondere Weise über den Stiefeln hoch, hängt sich ein Kreuz um den Hals, kauft eine
kubanka
-Pelzmütze für den Winter und eine »Kapitänsmütze« im Sommer.
Gleich bei seinem ersten Aufenthalt im Gefängnis lässt er sich von den neuen Freunden – Meistern in diesen Dingen – tätowieren. Das Erkennungszeichen seiner Zugehörigkeit zum Orden der Ganoven ist, wie ein Kainsmal, für immer mit blauer Tusche in seinen Körper gestochen. Oftmals wird er später die Tätowierung bereuen, sie wird dem Ganoven viel böses Blut einbringen. Aber all das kommt später, viel später.
Er beherrscht schon längst die »Gaunersprache«, die Sprache der Diebe. Er ist den Älteren eifrig zu Diensten. In seinem Verhalten fürchtet der Junge eher zu schwach als zu dick aufzutragen.
Und Tür um Tür öffnet die Ganovenwelt vor ihm ihre letzten Abgründe.
Bald nimmt er schon teil an blutigen »
prawilki
«, den »Ehrengerichten«, und man zwingt ihn, wie auch alle anderen, auf dem Leichnam eines nach dem Spruch des Ganovengerichts Erdrosselten zu »unterschreiben«. Jemand drückt ihm ein Messer in die Hand, und er stößt das Messer in den noch warmen Leichnam und beweist seine volle Solidarität mit den Handlungen seiner Lehrer.
Und bald bringt er auch selbst nach dem Spruch der Alten einen »Verräter«, eine »
suka
« um, die man ihm zeigt.
Unter den Ganoven gibt es wohl kaum auch nur einen Menschen, der nicht irgendwann gemordet hat.
So ist das Muster der Ausbildung eines jungen Ganoven, eines Jünglings aus einer fremden Welt.
Einfacher ist die Ausbildung bei Vertretern des »blauen Bluts«, den angestammten Ganoven oder denen, die kein anderes Leben als das der Diebe gekannt haben und kennenlernen wollten.
Man muss nicht denken, dass diese Menschen, aus denen auch die Ideologen und Führer der Ganovenwelt werden, diese Prinzen des Gaunerbluts, mit irgendeiner besonderen,
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