Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
Vom Netzwerk:
jenen Rest, der bleibt nach Bezahlung der »kommunalen Dienstleistungen« in Gestalt der Begleitposten, der Segeltuchzelte bei sechzig Grad Frost, der Gefängnisse, der Etappen, der Uniform, der Nahrung. Der Rest ist armselig, aber trotzdem ist es ein Phantom von Geld. Die Maßstäbe sind verschoben, und selbst ein geringfügiger »Lohn« – 20 bis 30 Rubel im Monat – ist für die Häftlinge interessant. Für 20 bis 30 Rubel kann man Brot kaufen – ist das nicht ein gewichtiger Traum, ein sehr starker »Anreiz« während der schweren, vielstündigen Arbeit in der Grube, einer Arbeit im Frost und bei Hunger und Kälte? Die Interessen der Menschen sind beschränkt, aber die Interessen sind nicht weniger stark geworden, wenn die Menschen zu Halbmenschen wurden.
    Der Lohn, das Entgelt wird einmal im Monat gezahlt, und an diesem Tag gehen die Ganoven durch alle
frajer
-Baracken und zwingen sie, das Geld abzugeben, je nach dem Gewissen der »Erpresser« entweder die Hälfte oder alles. Wenn sie es nicht freiwillig hergeben, wird ihnen alles gewaltsam abgenommen, mit Schlägen – mit dem Brecheisen, der Hacke, der Schaufel.
    Hinter diesem Lohn sind auch ohne die Ganoven viele her. Oft werden Brigaden mit guten Lebensmittelkarten, die besser ernährten Brigaden, von ihrem Brigadier darauf hingewiesen, dass man den Arbeitern kein Geld auszahlt, dass das Geld an den Vorarbeiter oder den Normierer geht. Und wenn sie nicht einwilligen, dann werden sie auch schlechte Lebensmittelkarten bekommen, und damit verurteilen sich die Häftlinge zum Hungertod.
    Die Abgaben an die »Cheflein« – die Normierer, die Brigadiere, die Aufseher – waren eine allgemeine Erscheinung.
    Raube, von den Ganoven verübt, kommen überall vor. Die Erpressung ist zum Gesetz gemacht und setzt niemanden in Erstaunen.
    Im Jahr 1938, als zwischen der Leitung und den Ganoven ein beinahe offizielles »Konkordat« bestand, als man die Diebe zu »Volksfreunden« erklärte, suchte die oberste Leitung in den Ganoven ein Werkzeug zur Bekämpfung der »Trotzkisten«, der »Volksfeinde«. Es wurden sogar »Politschulungen« mit den Ganoven im KWTsch durchgeführt, in denen die Kulturarbeiter den Ganoven die Sympathien und Hoffnungen des Staates erläuterten und sie um Hilfe bei der Vernichtung der »Trotzkisten« baten.
    »Diese Leute wurden zur Vernichtung hierher geschickt, und eure Aufgabe ist es, uns dabei zu helfen«, das sind die eigenen Worte des Inspektors des KWTsch im Bergwerk »Partisan« Scharow, von ihm auf solchen »Schulungen« im Winter Anfang 1938 geäußert.
    Die Ganoven antworteten mit vollkommener Einwilligung. Und ob! Das rettete ihnen das Leben, machte sie zu »nützlichen« Gliedern der Gesellschaft.
    In den »Trotzkisten« begegneten sie der ihnen tief verhassten »Intelligenz«. Außerdem waren es in den Augen der Ganoven »Cheflein«, die ins Unglück geraten sind, Chefs, die eine blutige Vergeltung erwartete.
    Die Ganoven machten sich mit der vollkommenen Billigung der Leitung ans Verprügeln der »Faschisten« – einen anderen Beinamen hatten die Artikel-58er im Jahr 1938 nicht.
    Die höheren Ränge wie Eschba , der ehemalige Sekretär des Nordkaukasischen Regionskomitees der Partei, wurden verhaftet und an der berühmten »Serpantinka« erschossen, und den anderen machten die Ganoven, die Begleitposten, der Hunger und die Kälte den Garaus. Die Ganoven haben bedeutenden Anteil an der Liquidierung der »Trotzkisten« im Jahr 1938.
    »Es gibt doch Fälle«, wird man mir sagen, »in denen der Dieb, wenn man ein Auge zudrückt, sein Wort hält und – unsichtbar – für ›Ordnung‹ im Lager sorgt.«
    »Für mich ist es günstiger«, sagt der Chef, »wenn fünf, sechs Diebe gar nicht arbeiten oder arbeiten wo sie wollen, und dafür die übrigen Lager-Insassen, von den Dieben unbehelligt, gut arbeiten. Um so mehr, als es an Begleitposten fehlt. Die Diebe versprechen, nicht zu stehlen und dafür zu sorgen, dass alle anderen Häftlinge arbeiten. Zwar geben die Diebe keine Garantie für die Erfüllung der Normen durch die anderen, aber das ist unsere geringste Sorge.«
    Fälle von solchen Absprachen zwischen den Dieben und der lokalen Leitung sind gar nicht so selten.
    Dem Chef geht es nicht um genaue Erfüllung der Bestimmungen des Lagerregimes, er macht es sich leicht, macht es sich sehr leicht. So ein Chef begreift nicht, dass er von den Dieben schon an die Angel genommen wurde, schon »an ihrer Angel« hängt. Er hat das Gesetz

Weitere Kostenlose Bücher