Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
schon übertreten, wenn er aus einem falschen und verbrecherischen Kalkül für die Diebe ein Auge zudrückt – denn der Chef gibt die
frajer
-Insassenschaft des Lagers in die Macht der Diebe. Von dieser
frajer
-Insassenschaft finden beim Chef nur die
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Schutz, die wegen Dienst- oder Alltagsverbrechen Verurteilten, das heißt die Veruntreuer, Mörder und Bestechlichen. Nach Artikel 58 Verurteilte werden keinen Schutz finden.
Hat der Chef für die Diebe das erste Mal ein Auge zugedrückt, bringt es ihn in engeren Umgang mit der »Verbrecherwelt«. Der Chef lässt sich bestechen – mit »Barsoi-Welpen« oder mit Geld –, hier entscheiden die Erfahrung des Gebenden und die Gier des Empfangenden. Die Diebe sind Meister im Bestechen. Was sie um so leichter, um so großzügiger tun, als das Überreichte – durch Diebstahl, durch Raub erworben wurde.
Man gibt den tausendsten Anzug (die Ganoven tragen und horten sehr gute »freie« Kleidung eben darum, um nötigenfalls zu bestechen), irgendwelche hervorragenden Schuhe, goldene Uhren, eine bedeutende Summe Geld …
Wenn der Chef nichts nimmt, »schmieren« sie seine Frau, verwenden alle Energie darauf, dass das »Cheflein« nur ein, zwei Mal etwas annimmt. Das sind Geschenke. Man bittet den »Chef« zum Ersatz um nichts. Man gibt ihm und bedankt sich bei ihm. Die Bitten kommen später – wenn das »Cheflein« stärker eingewickelt ist von den Diebesnetzen und sich vor der Bloßstellung vor der obersten Leitung fürchtet. Eine solche Bloßstellung ist eine gewichtige Drohung, und eine leicht wahrzumachende.
Das Ehrenwort des Diebes, dass niemand etwas erfährt – ist ja der Schwur eines Diebes gegenüber einem
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Von allem anderen abgesehen bedeutet das Versprechen, nicht zu stehlen – nur das Versprechen, nicht sichtbar zu stehlen, nicht zu rauben – nicht mehr. Der Chef wird ja die Diebe nicht auf Diebesexpeditionen ziehen lassen (obwohl es auch solche Fälle gegeben hat). Stehlen werden die Diebe trotzdem, denn das ist ihr Leben, ihr Gesetz. Sie können dem Chef versprechen, nicht im eigenen Bergwerk zu stehlen, die Lagerversorgung nicht zu bestehlen, die Lager-Lädchen , die Wache nicht zu bestehlen, aber das ist alles verlogen. Es werden sich Älteste finden, die ihre Kameraden gern von dieser Art von »Schwur« entbinden.
Wenn das Versprechen gegeben wurde, nicht zu stehlen – heißt das, dass die Erpressung von bedrohlicherer Einschüchterung begleitet sein wird, bis hin zum angedrohten Mord.
In jenen Lagerabteilungen leben die Häftlinge am schlechtesten, am rechtlosesten, am hungrigsten, verdienen sie weniger und essen sie schlechter, in denen die Diebe die Arbeitsanweiser, die Köche, die Aufseher und sogar die Chefs befehligen.
Dem Beispiel der Chefs folgten auch die Begleitposten des Lagers.
Viele Jahre waren die Begleitposten, die die Häftlinge zur Arbeit brachten, »verantwortlich« für die Erfüllung des Plans. Diese Verantwortung war nicht ganz wirklich und real, sondern wie die Verantwortung von Gewerkschaftern. Allerdings, militärischer Weisung unterworfen, forderten die Begleitposten von den Häftlingen Arbeit. »Los, los« wurde zum gewohnten Ruf nicht nur aus dem Munde der Brigadiere, Inspektoren und Vorarbeiter, sondern auch der Begleitposten. Die Begleitposten, für die das eine zusätzliche Belastung war, neben den reinen Wachaufgaben, nahmen ihre neuen, unbezahlten Verpflichtungen nicht sehr beifällig auf. Aber Befehl ist Befehl, und der Kolben kam öfter zum Einsatz, um die »Prozente« aus den Häftlingen herauszuschlagen.
Bald – ich möchte denken, auf empirische Weise – fanden die Begleitposten einen Ausweg aus der Lage, die etwas erschwert wurde durch den großen Produktionsdruck vonseiten der Begleitpostenchefs.
Die Begleitposten führten den Trupp (in dem immer »Politiker« und Diebe gemischt waren) zur Arbeit und verpachteten diese Arbeit an die Diebe. Die Diebe spielten gern die Rolle der freiwilligen Brigadiere. Sie verprügelten die Häftlinge (mit dem Segen und der Unterstützung der Begleitposten) und zwangen vor Hunger halbtote Greise, die schwere Arbeit in den Goldbergwerken zu machen, indem sie mit Stöcken den »Plan« aus ihnen herausschlugen, inklusive jenes Arbeitsanteils, der auf die Diebe selbst entfiel.
Die Vorarbeiter mischten sich in solche Details niemals ein, es ging ihnen nur um eine Steigerung der Produktion mit beliebigen Mitteln.
Die Vorarbeiter waren fast immer von den Dieben
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