Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
fluchten unflätig und übertrafen alle Ganoven in dieser subtilen und wichtigen Kunst des Zotenreißens, sie imitierten die Ganoven genau und waren trotzdem nichts als Imitatoren, als Nachahmer.
In den inneren Kreis der Ganovenwelt wurden diese Leute nicht eingelassen. Seltene Einzelfälle, die sich besonders hervorgetan hatten – nicht durch ihre »heroischen Taten« während des Raubens, sondern durch Aneignung der Regeln des Ganovenverhaltens, wurden manchmal an den »
prawilki
« der höchsten Diebeskreise beteiligt. Leider wussten sie nicht, was sie auf diesen
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sagen sollten. Bei dem kleinsten Zusammenstoß, und alle Ganoven sind überaus hysterische Personen, erinnerte man die »Fremden« an ihre »fremde« Herkunft.
»Du bist ein Grünling! Und machst die Schnauze auf! Was bist du für ein Dieb? Du bist ein Wolga-Packer und kein Dieb! Du bist der allergewöhnlichste Gimpel!«
Ein Grünling, d.h. ein »verdorbener
frajer
« ist ein
frajer
, der schon kein
frajer
mehr ist, aber auch noch kein Ganove (»Das ist noch kein Vogel, aber schon kein Vierbeiner mehr«, wie Jacques Paganel bei Jules Verne sagt). Und der »Grünling« erträgt die Kränkungen geduldig. »Grünlinge« sind natürlich niemals Hüter der Traditionen der Diebeswelt.
Um ein »guter«, echter Dieb zu sein, muss man als Dieb geboren werden; nur wer von jüngsten Jahren an mit den Dieben verbunden ist, noch dazu mit »guten, bekannten Dieben«, wer die vieljährige Lehre von Gefängnis, Raub und Ganovenerziehung vollständig durchlaufen hat, dem kommt es zu, in wichtigen Fragen des Ganovenlebens zu entscheiden.
Wie berühmt du als Räuber auch bist, welcher Erfolg dich auch begleitet, du bleibst unter angestammten Dieben immer ein fremder Einzelner, ein Mensch zweiter Klasse. Zu stehlen ist zu wenig, man muss diesem Orden angehören, und das bekommt man nicht durch Diebstahl allein, nicht durch Mord allein. Keineswegs jedes »Schwergewicht«, keineswegs jeder Mörder hat, nur weil er Räuber und Dieb ist, einen Ehrenplatz unter den Ganoven. Dort hat man eigene Hüter der Reinheit der Sitten, und besonders wichtige Diebesgeheimnisse, die die Ausarbeitung der allgemeinen Gesetze dieser Welt betreffen (welche sich, wie auch das Leben, ändern), die Erarbeitung der Sprache der Diebe, der »Gaunersprache« – sind Sache nur der Ganoven-Spitze, die aus angestammten Dieben besteht, selbst wenn sie alle Taschendiebe sind.
Und sogar auf die Meinung eines halbwüchsigen Jungen (des Sohnes, des Bruders eines berühmten Diebes) wird die Ganovenwelt mehr hören, als auf das Urteil eines »Grünlings« – und sei er auch ein Ilja Muromez im Räuberhandwerk.
Auch jede »Marianna« – die Frau der Ganovenwelt – wird man sich je nach dem Ansehen des Anführers teilen … Als erste bekommen sie die Besitzer von »blauem Blut«, und zuallerletzt – die »Grünlinge«.
Die Ganoven kümmern sich sehr um die Ausbildung ihres Nachwuchses, um die Aufzucht von »würdigen« Fortführern ihrer Sache.
Der schreckliche Flittermantel der Kriminalromantik mit seinem grellen Maskeradenglanz zieht den Jüngling, den Jungen an, um ihn mit seinem Gift für immer zu verderben.
Dieser falsche Glanz der Glasperlen, die sich als Diamanten ausgeben, wird in den Tausenden Spiegeln der Schönen Literatur reflektiert.
Man kann sagen, dass die Schöne Literatur, anstatt die Kriminellen zu brandmarken, das Gegenteil getan hat: sie hat den Boden bereitet für das Gedeihen der giftigen Triebe in den unerfahrenen, unbewanderten Seelen der Jugend.
Der Jüngling kann sich nicht gleich orientieren, das wahre Gesicht der
urki
erkennen, – und später ist es schon zu spät, er ist der Helfershelfer der Diebe, und wer sich ihnen auch nur im Geringsten angenähert hat, ist auch von der Gesellschaft schon abgestempelt und mit seinen neuen Kameraden auf Leben und Tod verbunden.
Wesentlich ist auch, dass er selbst schon persönliche Erbitterung ansammelt und persönliche Rechnungen mit dem Staat und seinen Vertretern zu begleichen hat. Ihm scheint, dass seine Leidenschaften und persönlichen Interessen in einen unlösbaren Konflikt mit der Gesellschaft und dem Staat treten. Ihm scheint, dass er zu teuer bezahlt für seine »Vergehen«, die der Staat nicht Vergehen, sondern Verbrechen nennt.
Ihn verlockt auch die ewige Schwäche der Jugend für »Mantel und Degen«, für das geheimnisvolle Spiel, und hier ist das »Spiel« kein Spaß, sondern lebendiges blutiges Spiel und
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