Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
gekauft. Das geschah in Form einer direkten Bestechung, mit Gegenständen oder mit Geld, ohne jede vorausgehende Bearbeitung. Der Vorarbeiter wartete selbst auf die Bestechung. Das war sein ständiges zusätzliches Einkommen.
Manchmal geschah die Bearbeitung des Vorarbeiters mittels eines »Spiels um Kubik«, das heißt eines Kartenspiels um Kubikmeter der geleisteten Arbeit.
Der Brigadier, ein Dieb, setzte sich mit dem Vorarbeiter zum Spiel hin und forderte gegen den Einsatz von »Klamotten« – Anzügen, Pullovern, Hemden, Hosen – die Bezahlung in »Kubik«, in Kubikmetern Boden …
Wenn er gewann, und er gewann fast immer – mit Ausnahme jener Fälle, wo eine »elegante« Bestechung nötig war, die einem französischen Marquis am Kartentisch Ludwigs des XIV. Ehre gemacht hätte –, wurden die verlorenen Kubikmeter Erde und Gestein in echten Festgewändern bezahlt, und die Brigade der Ganoven erhielt, ohne zu arbeiten, hohe Löhne. Ein versierter Vorarbeiter versuchte, den Ausgleich herzustellen, indem er die Brigaden der »Trotzkisten« übervorteilte.
Die frisierten Daten – der »Verkauf von Kubikmetern« war ein Unheil im Bergwerk. Vermessungen ermittelten die Wahrheit und fanden die Schuldigen … Solche Gauner-Vorarbeiter wurden nur heruntergestuft oder an eine andere Stelle versetzt. Sie hinterließen die Leichen von hungernden Menschen, aus denen sie die vom Vorarbeiter verspielten »Kubik« hatten »herausschlagen« wollen.
Der korrupte Geist der Ganoven erfüllte das gesamte Leben an der Kolyma.
Ohne eine genaue Vorstellung vom Wesen der Verbrecherwelt kann man das Lager nicht verstehen. Die Ganoven geben den Haftorten ihr Gesicht, geben den Ton des gesamten Lebens dort an – für die obersten Chefs und bis hin zu den halbverhungerten Arbeitern im Goldbergwerk.
Der ideale Ganove, der »wahre Dieb«, der Ganove Cascarilla raubt »Privatleute« nicht aus. Das ist eine der »Legenden im Werden« der Ganovenwelt. Der Dieb raubt nur aus staatlichem Besitz – aus der Bekleidungs- und Ausrüstungskammer, einer Kasse, aus einem Geschäft, im schlimmsten Fall aus »freien« Wohnungen, aber einem Häftling, einem Gefangenen das Letzte zu nehmen – das wird ein »guter Dieb« nicht tun. Den Diebstahl von Wäsche, den gewaltsamen »Tauschhandel« mit guter Kleidung und Schuhen gegen schlechtere, den Diebstahl von Handschuhen, Halbpelzen, Schals (von den staatlichen Sachen) und Pullovern, Jacketts und Hosen (von den freien) begeht angeblich das »Gesindel«, die »Frischlinge«, die »Kleindiebe«, die Grünschnäbel …
»Wenn wir hier wahre Diebe hätten«, seufzt der Biedermann, »würden sie die Diebstähle nicht zulassen, die das kriminelle Kroppzeug begeht.«
Der arme
frajer
glaubt an Cascarilla. Er will nicht begreifen, dass das Kroppzeug von den Einflussreicheren zum Wäscheklauen geschickt wird, dass die erbeuteten »Kluften« und »Buxen« nicht darum an den »Autoritäten« auftauchen, weil diese mächtigeren Diebe Hosen und Jacketts stehlen würden.
Der
frajer
weiß nicht, dass das »Einsteigen« meist jene kleinen Diebe erledigen, die Fertigkeiten erwerben müssen in ihrem Fach, und dass keineswegs sie das Gestohlene aufteilen. Bei komplizierteren Operationen beteiligen sich auch die Erwachsenen am Raub, ob durch Überredung: »gib her, wozu brauchst du das?«, oder durch den berüchtigten »Tauschhandel«, bei dem man dem
frajer
gewaltsam einen Lumpen, ein Kleidungsstück überzieht, das längst nur noch Symbol eines Kleidungsstücks, das heißt zur Rückgabe bei der »Abrechnung« geeignet ist. Darum findet man im Lager ein, zwei Tage nach der Einkleidung der besten Brigaden die neuen Halbpelze, Steppjacken und Mützen – an den Dieben, obwohl sie nicht an sie ausgegeben wurden. Manchmal gibt es bei dem »Tauschhandel« eine Papirossa oder ein Stück Brot – wenn der Ganove »anständig« ist und nicht von Natur aus böse oder wenn er fürchtet, dass sein Opfer »gelmt«, d.h. schreit.
Die Verweigerung des »Tauschhandels« oder eines »Geschenks« zieht Prügel nach sich und bei einem störrischen
frajer
auch Messerstiche. Aber in den meisten Fällen kommt es nicht zum Messer.
Diese »Tauschhändel« sind alles andere als ein Scherz unter vielstündiger Arbeit bei fünfzig Grad Frost, Schlafmangel, Hunger und Skorbut. Die von zu Hause gekommenen Filzstiefel herzugeben heißt, sich die Füße zu erfrieren. In den löchrigen Stoff
burki
, die bei dem »Tauschhandel« geboten
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