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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Gefängnissen, wo es wenig Übergaben gibt und wenig neue
frajer
– beschränkt sich der Begriff der »Gefängnisration« auf das Brot, während das warme Essen – Suppen, Grütze, Salate –, wie ärmlich das Angebot auch sei, von der Unberührbarkeit ausgenommen ist. Immer versuchen die Ganoven, die Essensverteilung zu kontrollieren. Diese weise Regel kommt die übrigen Zellenbewohner teuer zu stehen. Außer der Brotration schenkt man ihnen die dünne Suppenbrühe ein, und die Portionen des zweiten Gangs werden aus irgendeinem Grund klein. Einige Monate des Zusammenlebens mit den Hütern der Gefängnisration schlagen sich auf die negativste Weise im »Ernährungszustand« des Häftlings nieder, um einen offiziellen Terminus zu gebrauchen.
    All das betrifft noch die Zeit vor dem Lager, solange es um das Regime des Untersuchungsgefängnisses geht.
    Im Arbeitsbesserungslager, bei den schweren allgemeinen Arbeiten, wird die Frage der Gefängnisration zu einer Frage von Leben und Tod.
    Hier bleibt kein Stück Brot übrig, hier hungern alle und arbeiten schwer.
    Das Rauben der Gefängnisration gewinnt hier den Charakter eines Verbrechens, eines langsamen Mordens.
    Die nichtarbeitenden Diebe, die die Köche in der Küche unter ihre Fuchtel gebracht haben, holen sich dort den größten Teil der Fette, des Zuckers, des Tees und des Fleischs, wenn es welches gibt (aus diesem Grund ziehen alle »einfachen« Leute im Lager Fisch dem Fleisch vor; die Gewichtsnorm ist für beide dieselbe, und das Fleisch wird sowieso gestohlen). Außer den Dieben muss der Koch auch die Lagerversorgung, die Brigadiere, die Ärzte und manchmal auch die an der Wache diensttuenden Aufseher füttern. Und der Koch füttert sie – die Diebe drohen ihm einfach mit Mord, und die aus Gefangenen bestehende Lagerleitung (in der Ganovensprache heißen sie »
pridurki
« ) kann jederzeit die Gelegenheit ergreifen und den Koch entlassen, und er wandert ins Bergwerk, was schrecklich ist für jeden Koch und nicht nur für den Koch.
    Die Beschlagnahmungen aus der Gefängnisration geschehen auf Kosten der vielköpfigen Armee der gewöhnlichen Arbeiter. Diese Arbeiter bekommen von den »wissenschaftlich begründeten Ernährungsnormen« nur einen kleinen Teil, arm an Fetten wie an Vitaminen. Erwachsene Menschen weinen, wenn sie die wässrige Suppe bekommen – alles Dicke hat man längst den verschiedenen Senetschkas und Koletschkas gebracht.
    Um auch nur für minimale Ordnung zu sorgen, muss die Leitung nicht nur über persönlichen Anstand verfügen, sondern auch über eine unmenschliche, unermüdliche Energie im Kampf gegen die Lebensmittelplünderer – vor allem gegen die Diebe.
    So sieht die Gefängnisration im Lager aus. Hier denkt schon niemand mehr an die Reklamesprüche der Ganoven. Brot wird zu Brot ohne alle Einschränkung und Symbolik. Es wird zum wichtigsten Mittel, das eigene Leben zu erhalten. Schlimm für den, der sich überwunden und ein Stückchen seiner Ration für die Nacht gelassen hat, um nachts wach zu werden und bis zum Knacken in den Ohren den Geschmack des Brotes zu spüren in seinem von Skorbut ausgetrockneten Mund.
    Dieses Brot wird man ihm stehlen, ihm einfach entreißen und wegnehmen – das tun die jungen hungrigen Ganoven bei ihren allnächtlichen Durchsuchungen … Das ausgegebene Brot muss sofort gegessen werden – das ist die Praxis vieler Bergwerke, in denen es viel Diebsvolk gibt, in denen diese edlen Ritter hungrig sind und, obwohl sie nicht arbeiten, essen wollen.
    Es ist unmöglich, mit einem Mal fünf- oder sechshundert Gramm Brot herunterzuschlucken. Leider unterscheidet sich der menschliche Verdauungsapparat in seiner Bauweise von dem Verdauungsapparat einer Boa oder einer Möwe. Die Speiseröhre eines Menschen ist zu eng, ein Stück Brot von einem halben Kilo Gewicht lässt sich nicht auf einmal hineinschieben, erst recht nicht mit Rinde. Man muss das Brot zerbrechen und kauen – dafür vergeht wertvolle Zeit. So einem »Arbeiter« reißen die Ganoven die Brotreste aus der Hand, sie biegen ihm die Finger auf, schlagen ihn …
    Auf der Etappe in Magadan war die Brotausgabe einmal so geregelt, dass man den Arbeitern die gesamte Tagesration unter Bewachung durch vier MPi-Schützen aushändigte, die die Menge der hungrigen Ganoven auf gebührendem Abstand vom Ort der Brotverteilung hielten. Die Arbeiter erhielten ihr Brot und kauten es sofort, kauten und schluckten es schließlich wohlbehalten hinunter – Fälle, in

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