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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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ein – nicht den Rauch, sondern den Schatten, den der Rauch wirft …
    Alle wissen, dass er Rutschkin ein paar Züge übriglassen wird.
    Und Rutschkin überlegt: er wird selbst zwei Züge nehmen, und dann trägt er die Kippe in die Chirurgie, zu dem
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mit dem zerschlagenen Rücken. Dort erwartet Rutschkin – immerhin – eine Mittagsration. Und wenn Pawel Pawlowitsch mehr übrig lässt, wird aus der »Kippe« noch eine neue Papirossa, die teurer sein wird als die Ration.
    »Du musst schon bald fahren, Rutschkin«, sagt Pawel Pawlowitsch bedächtig. »Hier hattest du einen ordentlichen Kant, hast dich gründlich gefläzt, das ist vorbei … Erzähl, wie hast du das gewagt? Vielleicht kann ich dann den Kindern etwas erzählen. Wenn ich sie wiedersehe.«
    »Das ist ja kein Geheimnis, Pawel Pawlowitsch«, sagt Rutschkin und überlegt. Die Papirossa hat Pawel Pawlowitsch augenscheinlich locker gedreht. Wie er da zieht, den Rauch einzieht, wie das Feuer zappelt und das Papier abbrennt. Die Selbstgedrehte des Feldschers glimmt nicht, sie brennt wie eine Zündschnur. Wie eine Zündschnur. Also muss er sich kurz fassen.
    »Na?«
    »Am Morgen stehe ich auf, bekomme meine Brotration – an den Körper damit, unters Hemd. Bei uns wurden die Brotrationen für den ganzen Tag ausgegeben. Ich gehe zu unserem Sprengmeister, Mischka. ›Na?‹, sage ich. ›Ich habs‹. Ich gebe ihm die ganze achthunderter Brotration und bekomme dafür das Zündhütchen und ein Stück Schnur. Ich gehe zu meinen Landsleuten, in die Baracke. Das sind keine Landsleute, das sagt man nur so. Fedja und irgendein Petro. ›Bereit?‹, frage ich. ›Bereit‹, sagen sie. ›Dann hierher.‹ Sie geben mir ihre Brotrationen. Ich die beiden Rationen an den Körper, unters Hemd, und wir trotten zur Arbeit.
    In der Produktion, während unsere Brigade das Werkzeug holte, nehmen wir ein schwelendes Holzscheit aus dem Ofen und gehen hinter die Halde. Wir stellen uns zusammen, halten zu dritt das Zündhütchen – jeder mit der rechten Hand. Wir zünden die Schnur an, tschick – und die Finger fliegen davon. Der Brigadier brüllt: ›Was macht ihr denn?‹. Der Älteste der Begleitposten: ›Marsch ins Lager, in die Sanitätsstelle!‹ Sie verbanden uns in der Sanitätsstelle. Und dann jagten sie die Landsleute irgendwohin, und ich habe Fieber und komme ins Krankenhaus.«
    Die Papirossa hatte Pawel Pawlowitsch fast aufgeraucht, aber Rutschkin hatte sich von der Erzählung fortreißen lassen und die Papirossa fast vergessen.
    »Und die Rationen, die Rationen, die beiden, die du bekommen hast – hast du gegessen?«
    »Was sonst! Gleich nach dem Verbinden habe ich sie aufgegessen. Die Landsleute kamen – brich uns ein Stück ab. Geht doch, sage ich, zur Teufelsmutter. Das Geschäft war meins.«
    1962

Caligula
    Der Zettel traf bei der RUR noch vor der Sirene in der Dämmerung ein. Der Kommandant zündete das Benzinlämpchen an, las das Schriftstück und ging rasch einen Befehl erteilen. Dem Kommandanten kam nichts sonderbar vor.
    »Ist er nicht ganz?«, fragte der diensthabende Aufseher und tippte sich an die Stirn.
    Der Kommandant sah den Soldaten kühl an, und dem Diensthabenden wurde angst wegen seiner Leichtfertigkeit. Er wandte den Blick zum Weg.
    »Sie führen es«, sagte er, »Ardatjew kommt selbst.«
    Durch den Nebel sah man zwei Begleitposten mit Gewehren. Hinter ihnen hielt der Fuhrmann ein graues ausgemergeltes Pferd am Zügel. Neben dem Weg, einfach durch den Schnee, stapfte ein schwerer großer Mann dem Pferd hinterher. Der weiße Schafshalbpelz stand offen, die Barnaulka-Mütze war in den Nacken geschoben. In der Hand hielt er einen Stock und schlug unbarmherzig auf die knochigen, schmutzigen, eingefallenen Flanken des Pferdes ein. Das Pferd zuckte bei jedem Schlag und schleppte sich weiter, zu schwach, seinen Schritt zu beschleunigen.
    Am Pförtnerhäuschen hielten die Begleitposten das Pferd an, und Ardatjew trat schwankend vor. Er atmete selbst wie ein herzschlächtiges Pferd und hüllte den strammstehenden Kommandanten in den Geruch von Alkohol.
    »Bereit?«, krächzte er.
    »Zu Befehl!«, antwortete der Kommandant.
    »Übernimm es!«, brüllte Ardatjew. »Nimm es in Verpflegung. Ich bestrafe die Menschen – da werde ich die Pferde nicht schonen. Ich zeige es ihm. Es streikt den dritten Tag«, brummte er und stieß den Kommandanten mit der Faust in die Brust. »Ich wollte den Fuhrmann einsperren. Das sprengt ja den Plan. Den Pla-an … Der

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