Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
Kostotschkin, und plötzlich ging die Nachricht durch die Schürfbrigaden, dass zum Brigadier einer der Brigaden ein Neuer ernannt wurde, 58er wie sie selbst. Die Optimisten sahen in dieser Ernennung ein Zeichen baldiger Veränderungen zum Besseren, die Pessimisten murmelten etwas von neuem Besen. Aber die einen wie die anderen waren erstaunt, mit Ausnahme natürlich jener, die längst zu staunen verlernt hatten – Krist staunte nicht.
Jede Brigade lebt ihr eigenes Leben, in einer eigenen »Sektion« der Baracke, mit eigenem Eingang, und trifft die übrigen Barackenbewohner nur in der Kantine. Krist traf Kostotschkin oft, er war so auffällig – rotgesichtig, breitschultrig, kraftvoll. Seine
kragi
, die Stulpenhandschuhe, waren aus Fell. Ärmere Brigadiere hatten aus Lumpen, aus gesteppten Wattehosen genähte Stulpen. Auch Kostotschkins Mütze war eine »freie«, eine Fellmütze mit Ohrenklappen, und die Filzstiefel waren echt, keine
burki
, keine Flechtgaloschen. All das hob Kostotschkin heraus. Er hatte als Brigadier erst diesen einen Wintermonat gearbeitet – das heißt, er hat den Plan, die Prozente geschafft – wie viel, konnte man an der Tafel bei der Wache erfahren, aber dafür interessierte sich ein so alter Häftling wie Krist nicht.
Den Lebenslauf seines jungen Brigadiers entwarf Krist auf der Pritsche, in Gedanken. Aber er war sicher, dass er sich nicht irrte, nicht irren konnte. Einen anderen Weg zur Brigadierstätigkeit hätte es für den Charbiner nicht gegeben.
Die Brigade Kostotschkin war zusammengeschmolzen, wie alle Brigaden zusammenschmelzen müssen, die im Goldbergwerk arbeiten. Von Zeit zu Zeit – soll heißen von Woche zu Woche, nicht von Monat zu Monat – wurde Verstärkung in Kostotschkins Brigade geschickt. Heute war diese Verstärkung Krist. »Wahrscheinlich weiß Kostotschkin sogar, wer Einstein ist«, dachte Krist beim Einschlafen an seinem neuen Platz.
Seinen Platz hatte man Krist, als Neuling, fern vom Ofen zugewiesen. Die Leute, die früher in die Brigade gekommen waren, hatten die besten Plätze besetzt. Das war die allgemeine Ordnung, und Krist kannte sie gut.
Der Brigadier saß am Tisch in der Ecke, dicht bei der Lampe und las ein Buch. Und obwohl der Brigadier, als Herr über Leben und Tod seiner Arbeiter, zu seiner Bequemlichkeit die einzige Lampe zu sich auf den Tisch hätte stellen und allen anderen Barackenbewohnern das Licht nehmen können – sie kommen nicht zum Lesen oder Sprechen … Sprechen können sie auch im Dunklen, außerdem haben sie nichts zu besprechen und keine Zeit. Aber der Brigadier Kostotschkin richtete sich selbst bei der Lampe für alle ein und las und las, spitzte manchmal, lächelnd, seine vollen kindlichen Lippen zum Kirschmund und kniff die schönen großen grauen Augen zu. Krist gefiel das so lange nicht gesehene friedliche Bild des Brigadiers und der Brigade so, dass er bei sich beschloss, unbedingt in dieser Brigade zu bleiben, all seine Kräfte für seinen neuen Brigadier einzusetzen.
In der Brigade gab es noch einen stellvertretenden Brigadier, zugleich auch Barackendienst, den kleingewachsenen Oska, der Kostotschkins Vater sein könnte. Oska fegte die Baracke, verteilte das Essen, half dem Brigadier – alles ging menschlich zu. Und im Einschlafen dachte Krist aus irgendeinem Grund, dass sein neuer Brigadier wahrscheinlich weiß, wer Einstein ist. Und beglückt von diesem Gedanken, aufgewärmt von dem gerade zur Nacht getrunkenen Becher kochendes Wasser, schlief Krist ein.
In der neuen Brigade gab es auch kein Geschrei beim Ausrücken. Sie zeigten Krist die Werkzeugkammer, holten ihr Werkzeug, und Krist machte sich eine Schaufel zurecht, wie er sie tausendmal zuvor zurechtgemacht hatte, er schickte den kurzen Stiel mit Heft, der an der amerikanischen Spatenschaufel befestigt war, zum Teufel, schlug diese Schaufel mit dem Beilrücken auf einem Stein etwas platter, wählte aus der Menge der in der Schuppenecke stehenden Stiele einen langen, sehr langen neuen Stiel, schob den Stiel in das vorgesehene Loch, befestigte ihn, stellte die Schaufel mit dem abgewinkelten Blatt an die eigenen Füße, maß ab und markierte, »zeichnete« den Schaufelstiel auf der Höhe des eigenen Kinns und hackte ihn entsprechend dieser Markierung ab. Mit dem scharfen Beil feilte und glättete Krist sorgfältig den Kopf des neuen Handgriffs. Er stand auf und drehte sich um. Vor ihm stand Kostotschkin und beobachtete aufmerksam die Handlungen des Neulings.
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