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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Fuhrmann schwört: ›Nicht ich streike, sondern das Pferd.‹ V-verstehe«, stotterte Ardatjew, »ich g-laubs … Gib, sag ich, die Zügel her. Ich nehme die Zügel – es läuft nicht. Schlage es – es läuft nicht. Gebe ihm Zucker – habe ich extra von zu Hause mitgebracht – es nimmt ihn nicht. Du Scheusal du, denke ich, wie soll ich jetzt deine Arbeitseinheiten verrechnen? Weg mit ihm – zu allen Drückebergern, zu allen Feinden der Menschheit – in den Karzer. Bei bloßem Wasser. Drei Tage fürs erste Mal.«
    Ardatjew setzte sich in den Schnee und nahm die Mütze ab. Die nassen wirren Haare fielen ihm in die Augen. Bei dem Versuch, aufzustehen, kam er ins Wanken und kippte plötzlich auf den Rücken.
    Aufseher und Kommandant zogen ihn in die Bereitschaft. Ardatjew schlief.
    »Tragen wir ihn nach Hause?«
    »Lieber nicht. Die Frau mag das nicht.«
    »Und das Pferd?«
    »Das müssen wir wegführen. Wenn er aufwacht und erfährt, dass wir es nicht eingesperrt haben – bringt er uns um. Sperr es in die vierte. Zur Intelligenz.«
    –––––––
    Zwei Wächter, Häftlinge, trugen Holz für die Nacht in die Bereitschaft und stapelten es um den Ofen.
    »Was sagen Sie dazu, Pjotr Grigorjewitsch?«, sagte einer von ihnen und wies mit den Augen auf die Tür, hinter der Ardatjew schnarchte.
    »Ich sage, das ist nicht neu … Caligula …«
    »Ja, ja, wie bei Dershawin «, fiel der andere ein, richtete sich auf und rezitierte ausdrucksvoll:
    Caligula, dein Pferd hat im Senat
    Nicht glänzen können, trotz des Goldes,
    Was glänzt sind gute Taten …
    Die Alten steckten sich eine Papirossa an, und blauer Machorkarauch schwebte durchs Zimmer.
    1962

Künstler der Schaufel
    Am Sonntag, nach der Arbeit, sagten sie Krist, dass er in die Brigade Kostotschkin verlegt wird, zur Verstärkung der rasch zusammenschmelzenden Goldbergwerksbrigade. Das war eine wichtige Neuigkeit. Ob gut oder schlecht, brauchte Krist nicht zu überlegen, denn die Neuigkeit war unabwendbar. Aber über Kostotschkin selbst hatte Krist viel gehört in diesem Bergwerk ohne Gerüchte, in den tauben und stummen Baracken. Wie jeder andere Häftling wusste Krist nicht, woher neue Leute in sein Leben kamen, die einen auf kurze, die anderen auf lange Zeit – doch in allen Fällen verschwanden die Leute aus Krists Leben, ohne auch nur irgendetwas über sich gesagt zu haben, sie gingen, als wären sie tot, starben, als gingen sie fort. Die Chefs, die Brigadiere, die Köche, die Kammerverwalter, die Pritschennachbarn, die Brüder an der Schubkarre, Kameraden an der Hacke …
    Dieses Kaleidoskop, dieses endlose Hin und Her von Gesichtern strengte Krist nicht an. Er dachte einfach nicht darüber nach. Das Leben ließ keine Zeit für solche Gedanken. »Reg dich nicht auf, denk nicht nach über die neuen Chefs, Krist. Du bist nur einer, und neue Chefs wirst du noch viele haben«, hat ein Spaßmacher und Philosoph gesagt – aber wer das gesagt hat, hatte Krist vergessen. Krist konnte sich weder an den Namen noch an das Gesicht, noch an die Stimme erinnern, die Stimme, die Krist diese wichtigen scherzhaften Sätze gesagt hat. Wichtig gerade deshalb, weil sie scherzhaft waren. Leute, die es wagten, zu scherzen, die es wagten, wenn auch tief verborgen, tief innerlich zu lächeln, dennoch zu lächeln, unverkennbar zu lächeln – solche Leute gab es, aber Krist selbst gehörte nicht zu ihnen.
    Was für Brigadiere hatte Krist … Entweder 58er wie er selbst, die sich zu ernste Dinge vorgenommen hatten und bald degradiert wurden, schneller degradiert wurden, als sie sich hatten in Mörder verwandeln können. Oder 58er wie er selbst,
frajer
, aber beschlagene
frajer
, erfahrene, bewanderte
frajer
, die nicht nur auf der Arbeit befehlen, sondern diese Arbeit auch organisieren und sich auch noch mit den Arbeitsnormern, dem Kontor und den unterschiedlichen Natschalniks vertragen, sie bestechen und überzeugen konnten. Aber auch diese, 58er wie er selbst, wollten gar nicht darüber nachdenken, dass bei der Lagerarbeit zu befehlen die schlimmste Sünde ist im Lager, dass dort, wo die Abrechnung blutig, wo der Mensch ohne Rechte ist, die Verantwortung zu übernehmen, auf Leben und Tod über einen fremden Willen zu befehlen – all das eine zu große, eine Todsünde ist, eine unverzeihliche Sünde. Es gab Brigadiere, die gemeinsam mit der Brigade starben. Es gab auch solche, die diese schreckliche Macht über fremdes Leben sofort demoralisierte und die in Gesprächen mit

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