Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
Schwester sagte, das werde immer so gemacht.
»Gießen Sie das Blut in die Teekessel und geben Sie es den Schwerkranken, ›per os‹«, ordnete Sader an. Die Schwester verteilte das Blut, und die Kranken waren damit sehr zufrieden. »Künftig«, sagte der Ungar, »geben Sie alles altwerdende Blut auf dieselbe Weise aus.«
So begann die Praxis, das Spenderblut in den Krankensälen zu verteilen. Als der Leiter der Abteilung zurückkam, machte er eine große Szene: dass der Faschist Sader den Kranken Menschenblut zu trinken gibt – nicht mehr und nicht weniger. Die Kranken erfuhren am selben Tag davon, denn in den Krankenhäusern verbreiten sich Gerüchte noch schneller als in den Gefängnissen, und die, die irgendwann Blut erhalten hatten, mussten sich übergeben. Sader wurde ohne jede Aussprache von der Arbeit entfernt, und eine detaillierte Aktennotiz, die Sader aller möglichen Verbrechen überführte, flog in die Sanitätsverwaltung. Der fassungslose Sader versuchte zu erklären, dass doch gar kein prinzipieller Unterschied bestehe zwischen der Übertragung in die Vene und der Aufnahme über den Mund, dass dieses Blut eine gute Zusatznahrung sei, aber niemand hörte ihn an. Man schor Sader den Kopf, nahm ihm das freie Jackett weg und schickte ihn in Häftlingsmontur in die Brigade Lourié zum Holzeinschlag, und Doktor Sader stand schon auf der Stachanow-Ehrentafel des Waldabschnitts, als eine Kommission der Sanitätsverwaltung erschien, beunruhigt im Übrigen nicht durch das Faktum einer solchen Blutübertragung, sondern durch den Umstand, dass die Hals- und Ohren-Klientel keinen Arzt mehr hatte. Durch einen glücklichen Zufall stand an der Spitze dieser Kommission ein Major des Medizinischen Diensts, der gerade aus der Armee demobilisiert war und den gesamten Krieg über in chirurgischen Abteilungen des Sanitätsbataillons gearbeitet hatte. Als er sich mit dem Material der »Beschuldigung« bekannt gemacht hatte, begriff er gar nicht – worum ging es? Wofür wird Sader belangt? Und als geklärt war, dass Sader den Kranken menschliches Blut verabreicht, sie hatte »Blut trinken lassen«, sagte der Major schulterzuckend:
»Das habe ich an der Front vier Jahre lang gemacht. Und hier soll man das nicht dürfen? Ich weiß ja nicht, ich bin noch nicht lange hier.«
Sader wurde aus dem Wald zurück in die chirurgische Abteilung geholt, trotz eines schriftlichen Protests des Brigadiers beim Holzeinschlag, der fand, dass man ihm aus einer Laune heraus den besten Holzfäller nimmt.
Doch das Interesse an der Arbeit hatte Sader verloren, und Rationalisierungsvorschläge brachte er nicht mehr ein.
Doktor Doktor war ein vollendeter Schurke. Es hieß, er sei bestechlich und sorge für sich selbst – aber gab es denn andere Chefs an der Kolyma? Er sei rach- und streitsüchtig – auch das ist verzeihlich.
Doktor Doktor hasste die Häftlinge. Nicht, dass er hässlich oder misstrauisch gegen sie war. Nein, er quälte und erniedrigte sie täglich und stündlich, schikanierte und beleidigte sie und nutzte weidlich seine (innerhalb des Krankenhauses) grenzenlose Macht, um die Karzer und Strafabschnitte zu füllen. Ehemalige Häftlinge waren für ihn keine Menschen, und er drohte ihnen immer wieder – dem Chirurgen Traut zum Beispiel, dass er nicht zögern werde, ihm eine weitere Haftstrafe zu geben. Jeden Tag brachte man in seine Wohnung entweder frischen Fisch – eine Brigade von »Kranken« fischte mit Netzen im Meer – oder Treibhausgemüse oder Fleisch aus der Schweinesowchose, und all das in Mengen, die einen Gulliver ernährt hätten. Doktor Doktor hatte einen Dienstboten, einen Häftling, der bei ihm arbeitete, und der half ihm beim Verkauf all der Geschenke. Vom »Festland« gingen an Doktor Doktors Adresse Päckchen mit Machorka – der Währung der Kolyma. Doktor Doktor war lange Jahre Krankenhauschef, bis ihn schließlich ein anderer Gangster stürzte. Der Chef von Doktor Doktor fand das »Abgelieferte« zu gering.
Aber all das war später, in der Zeit des Lehrgangs war Doktor Doktor Zar und Gott. Täglich wurden Versammlungen abgehalten, und der Doktor hielt dort Reden, die stark in Richtung Personenkult gingen.
In punkto allerlei verleumderischer »Memoranden« war Doktor ebenfalls ein großer Meister und konnte jedem, dem er wollte, etwas »anhängen«.
Er war ein rachsüchtiger Chef, ein auf gemeine Weise rachsüchtiger.
»Als du mir begegnet bist, hast du mich nicht gegrüßt, und jetzt ich zeige dich
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