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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Hölle hieß, in die er geraten konnte, was schlimmer wäre als das, was Krist schon gesehen hatte. Aber Krist zweifelte nicht, dass es solche Orte, an denen es noch schlimmer ist, gab. Er musste abwarten und schweigen.
    Wieder kam der Diensthabende heraus.
    »Geht in die Baracke. Wir haben keinen Begleitposten.«
    Doch der Häftling mit dem Köfferchen trat vor.
    »Geben Sie mir die Einweisung, Bürger Diensthabender. Ich bringe alle hin. Besser als jeder Soldat. Sie kennen mich doch? So haben wir es schon öfter gemacht. Ich bin unbegleitet, und sie – wohin sollen sie fliehen? In die Nacht, in den Frost …«
    Der Diensthabende ging in die Wache hinein, kam sofort zurück und gab dem Mann mit dem Köfferchen einen Umschlag aus Zeitungspapier.
    »Habt ihr eure Sachen dabei?«
    »Was für Sachen …«
    »Na, los!«
    Der eiserne Riegel wurde zurückgeschoben und entließ die drei Häftlinge in den weißen Frostnebel.
    Der Unbegleitete lief voraus, er rannte, nach Meinung Krists. Der Nebel lichtete sich hier und da und ließ das gelbe Licht der elektrischen Straßenlaternen durch.
    Es verging unendlich viel Zeit. Tropfen heißen Schweißes krochen über Krists eingefallenen Bauch, über seinen knochigen Rücken. Krists Herz pochte und pochte. Aber Krist lief die ganze Zeit, lief hinter seinen im Nebel verschwindenden Kameraden her. An der Ecke der Siedlung begann die große Chaussee.
    »Du lässt uns warten!..«
    Krist bekam Angst, dass sie ihn im Stich lassen, zurücklassen würden.
    »Hör zu«, sagte der Unbegleitete. »Weißt du, wo das Krankenhaus ist?«
    »Ja.«
    »Wir gehen vor. Und am Krankenhaus warten wir auf dich.«
    Die Häftlinge verschwanden in der Dunkelheit, und Krist verpustete sich und kroch den Straßengraben entlang, machte alle Augenblick lang halt und stürzte weiter voran. Die Handschuhe hatte Krist verloren, aber er merkte nicht, dass er mit nackten Händen über Schnee, Eis und Steine schrammte. Krist brüllte, schnaufte und schabte über die Erde. Vor sich sah er nichts als weißen Nebel. Aus diesem weißen Nebel sprangen, grimmig brummend, riesige Lastwagen hervor und verschwanden sofort wieder im Nebel. Aber Krist machte nicht halt, um das Fahrzeug vorbeizulassen und weiter zum Krankenhaus zu kriechen. Krist hielt sich mit den Händen am Straßengraben, an der Böschung des Straßengrabens – wie ein gewaltiges Seil war sie über den eisigen Abgrund gespannt, zu Wärme und Rettung. Krist kroch, kroch, kroch.
    Der Nebel wurde etwas dünner, und Krist sah die Kehre zum Krankenhaus und die winzigen Häuschen der Krankenhaussiedlung. Dreihundert Schritt, nicht mehr. Und wieder brüllend, kroch Krist weiter.
    »Wir dachten schon, du bist krepiert«, sagte gleichgültig und gutmütig der Unbegleitete, der auf der Vortreppe der Krankenhausbaracke stand. »Ohne dich nehmen sie uns hier nicht auf.«
    Aber Krist hörte nicht hin und antwortete nicht. Jetzt kam das Wichtigste, das Schwerste – legt man ihn ins Krankenhaus oder nicht.
    Der Arzt kam, ein junger, sauberer Mann in einem unwahrscheinlich weißen Kittel, und schrieb alle ins Buch ein.
    »Zieht euch aus.«
    Krists Haut schuppte sich, löste sich in leichten Plättchen vom Körper, die aussahen wie die Fingerabdrücke in der Lagerakte.
    »Das nennt sich Pellagra«, sagte der Unbegleitete.
    »Ich hatte das auch schon«, sagte der dritte, und das waren die ersten Worte, die Krist von ihm hörte. »Sie haben mir die Handschuhe von beiden Händen abgenommen. Und nach Magadan geschickt, ins Museum.«
    »Ins Museum?«, sagte der Unbegleitete abfällig. »Als ob sie in Magadan nicht solche Handschuhe haben.«
    Aber der dritte Häftling hörte dem Unbegleiteten nicht zu.
    »Du«, er zog Krist am Arm. »Hör her! Mit dieser Krankheit verschreiben sie dir heiße Spritzen, ganz bestimmt. Mir haben sie sie verschrieben, ich habe sie gegen Brot getauscht bei den Ganoven. So habe ich mich erholt.«
    Jetzt waren aus dem Schrank auch die Formulare für die Krankengeschichten da. Drei Formulare. Alle werden aufgenommen. Der Sanitäter kam herein.
    »Erst mal in Saal zwei.«
    Gießbad mit warmem Wasser, Wäsche ohne Läuse. Der Korridor, wo auf dem Tischchen des Diensthabenden noch der Docht einer Funzel brannte, Fischtran in einem Schälchen aus dem Boden einer Konservendose. Die Tür in den leeren Saal, aus dem es nach Frost, Straße und Eis roch. Der Sanitäter ging Holz holen, um den erloschenen Eisenofen zu heizen.
    »Wisst ihr was«, sagte der

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