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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Natschalnik?«
    »Ja. Ich habe zwei Berichte über dich.«
    »Ich arbeite nicht schlechter als die anderen, Bürger Natschalnik …«
    »Na, geh …«
    Sie bogen die rostigen Nägel gerade und nahmen den Stacheldraht ab, wickelten ihn auf einen Stock. Zehn Reihen, zehn Eisenfäden, und noch quergespannte schräge Drähte – diese Arbeit reichte Andrejew und Maslakow für einen ganzen Tag. Diese Arbeit war in nichts besser als jede andere Arbeit. Kossarenko hatte sich geirrt – die Gefühle der Häftlinge waren grob geworden.
    Zum Mittagessen erfuhr Andrejew noch eine Neuigkeit: Die Brotzuteilung war von einem Kilo auf fünfhundert Gramm gesenkt worden – das war eine bedrohliche Neuigkeit, denn das warme Essen entschied im Lager nichts. Entscheidend war das Brot.
    Am folgenden Tag kehrte Andrejew in den Schacht zurück.
    Im Schacht war es wie immer kalt und wie immer dunkel. Andrejew stieg den Personengang hinunter in den unteren Schlag. Der leere Wagen von oben war noch nicht da, und Kusnezow, der zweite Förderer der Schicht, saß nicht weit von der unteren Platte, im Licht, und wartete auf die Waggons.
    Andrejew setzte sich neben ihn. Kusnezow war ein
bytowik
, ein Mörder vom Dorf.
    »Hör zu«, sagte Kusnezow. »Sie haben mich einbestellt.«
    »Wohin?«
    »Dorthin. Hinter die Brücke.«
    »Und dann?«
    »Mir befohlen, über dich einen Bericht zu schreiben.«
    »Über mich?«
    »Ja.«
    »Und?«
    »Ich habe geschrieben. Was soll man machen?«
    »Wirklich«, dachte Andrejew. »Was soll man machen?«
    »Und was hast du da geschrieben?«
    »Ich habe geschrieben, was sie sagen. Dass du Hitler gelobt hast …«
    ›Er ist ja kein Schurke‹, dachte Andrejew. ›Er ist einfach ein armer Kerl …‹
    »Was werden sie jetzt mit mir machen?«, fragte Andrejew.
    »Ich weiß nicht. Der Bevollmächtigte hat gesagt: Das ist nur so, der Ordnung halber.«
    »Na ja«, sagte Andrejew. »Natürlich, der Ordnung halber. Meine Haftzeit endet ja dieses Jahr. Noch Zeit genug, eine neue zu fabrizieren.«
    Die Förderwagen donnerten über die Rampe.
    »Hej, ihr«, schrie der Älteste von der Platte. »Märchenerzähler! Nehmt den leeren Wagen an!«
    »Ich werde mich wohl weigern, mit dir zu arbeiten«, sagte Kusnezow. »Sie bestellen mich ja wieder ein, und dann sage ich: Ich weiß nicht, ich arbeite nicht mit ihm. Und fertig …«
    »Das ist das Beste«, stimmte Andrejew zu.
    Ab der nächsten Schicht war Andrejews Partner Tschudakow, ebenfalls ein
bytowik
. Im Gegensatz zu dem gesprächigen Kusnezow – schwieg er. Entweder war er schweigsam geboren, oder man hatte ihn »hinter der Brücke« gewarnt.
    Nach wenigen Schichten wurden Andrejew und Tschudakow im Ventilationsschlag auf der oberen Platte eingesetzt – um die leeren Förderwagen die dreißig Meter Rampe hinunterzulassen und die beladenen herauszuziehen. Die Wagen wurden auf der Platte gedreht, die Räder aufs Gleis Richtung Rampe gestellt, ein Stahldrahttau am Waggon befestigt, und dann hängten sie den Förderwagen mit dem Rändelring an das Windenseil und schoben ihn nach unten. Das Anhängen machten sie abwechselnd. Tschudakow war an der Reihe. Die Förderwagen liefen und liefen, einer nach dem anderen, der Arbeitstag war in vollem Gange, als Tschudakow plötzlich einen Fehler machte – er stieß den Förderwagen nach unten, ohne ihn an das Tau gehängt zu haben. »Getroffen!« – ein Bergwerksunfall! Man hörte dumpfes Poltern, das Klirren von Eisen, das Krachen der Stützbalken; Säulen von weißem Staub standen auf der Rampe.
    Tschudakow wurde sofort verhaftet, und Andrejew kehrte in die Baracke zurück. Am Abend wurde er zu Kossarenko gerufen, zum Chef.
    Kossarenko rannte im Kabinett hin und her.
    »Was hast du angerichtet? Was hast du angerichtet, frage ich? Schädling!«
    »Sie sind ja verrückt geworden, Bürger Natschalnik«, sagte Andrejew. »Das hat doch Tschudakow durch Zufall …«
    »Du hast ihn angelernt, Dreckskerl! Schädling! Du hast den Schacht lahmgelegt!«
    »Was hat das mit mir zu tun? Und niemand hat den Schacht lahmgelegt – der Schacht funktioniert … Was schreien Sie?«
    »Er weiß es nicht! Hier schreibt Korjagin … Er ist Mitglied der Partei.«
    Ein großer Rapport, in Korjagins kleiner Schrift, lag tatsächlich auf dem Tisch des Chefs.
    »Du wirst dich verantworten!«
    »Wie Sie wollen!«
    »Geh, Dreckskerl!«
    Andrejew ging. In der Baracke, im Kabäuschen der Vorarbeiter gab es ein lautes Gespräch, das mit Andrejews Ankunft unterbrochen

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