Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
Vom Netzwerk:
allmächtige Schweigen war Teil des Verhaltens, das sich Andrejew in seinem gesamten Lagerleben mit all den Anschuldigungen, Untersuchungen und Verhören angewöhnt hatte – Teil jener inneren Regeln, die zu verletzen und aufzugeben gar nicht so einfach war. Andrejew drückte Umanskijs Hand, die trockene, heiße, kleine Altmännerhand mit den zupackenden, heißen Fingern.
    Als die Haft des Professors zu Ende war, bekam er die lebenslängliche Ortsbindung an Magadan. Umanskij starb am 4. März 1953 , bis zum letzten Augenblick setzte er seine an niemanden vermachte, von niemandem weitergeführte linguistische Arbeit fort. So hat der Professor niemals erfahren, dass das Elektronenmikroskop erfunden wurde und die Chromosomentheorie ihre experimentelle Bestätigung fand.
    1964

Ins Krankenhaus
    Krist war hochgewachsen, aber der Feldscher war noch größer, breitschultrig, pausbäckig – lange schon, viele Jahre erschienen Krist alle Chefs als pausbäckig. Der Feldscher stellte Krist in die Ecke und betrachtete seine Beute mit sichtlicher Billigung.
    »Dann warst du Sanitäter, sagst du?«
    »Ja.«
    »Das ist gut. Ich brauche einen Sanitäter. Einen richtigen Sanitäter. Damit Ordnung herrscht.« Und der Feldscher umriss mit der Hand das riesige tote Ambulatorium, das einem Pferdestall ähnelte.
    »Ich bin krank«, sagte Krist. »Ich muss ins Krankenhaus …«
    »Alle sind krank. Du hast noch Zeit. Wir machen Ordnung. Nehmen diesen Schrank hier in Betrieb«, der Feldscher klopfte an die Tür eines riesigen leeren Schrankes. »Na, es ist spät. Wisch die Böden – und leg dich hin. Mich weckst du nach dem allgemeinen Wecken auf.«
    Krist hatte das Eiswasser noch nicht in allen Winkeln des kalten, durchgefrorenen Ambulatoriums verteilt, als die schläfrige Stimme seines neuen Herrn Krists Arbeit unterbrach.
    Krist ging ins Nachbarzimmer, ein ebenso pferdestallähnliches. In die Ecke war ein Liegebett gequetscht. Unter einem Haufen zerrissener Decken, Halbpelze und Lumpen hervor rief der einschlafende Feldscher nach Krist.
    »Zieh mir die Filzstiefel aus, Senitäter.«
    Krist zog dem Feldscher die stinkenden Filzstiefel von den Füßen.
    »Stell sie an den Ofen, nach oben. Und am Morgen bringst du sie mir angewärmt. Ich mag sie angewärmt.«
    Krist trieb mit dem Lappen das schmutzige Eiswasser in eine Ecke des Ambulatoriums, das Wasser gerann, verwandelte sich in gefrierenden Schneematsch, erstarrte zu Eis. Krist wischte den Boden des Ambulatoriums, legte sich auf die Liege und fiel gleich in seinen ewigen hiesigen Halbschlaf, und praktisch einen Augenblick später – wachte er auf. Der Feldscher rüttelte ihn an der Schulter:
    »Was machst du denn? Sie rücken schon längst aus.«
    »Ich will nicht als Sanitäter arbeiten. Schicken Sie mich ins Krankenhaus.«
    »Ins Krankenhaus? Das Krankenhaus muss man sich verdienen. Du willst also nicht als Senitäter arbeiten?«
    »Nein«, sagte Krist und schützte das Gesicht mit routinierter Bewegung vor Schlägen.
    »Geh zur Arbeit!«, der Feldscher stieß Krist aus dem Ambulatorium und marschierte gemeinsam mit Krist durch den Nebel zur Wache.
    »Hier ist ein Drückeberger, ein Simulant. Treibt ihn, treibt ihn”, schrie der Feldscher den Begleitposten zu, die einen Trupp Gefangene aus dem Stacheldrahtzaun heraus geführt hatten. Die vielerfahrenen Begleitposten tippten Krist ein wenig mit den Bajonetten und Kolben an.
    Man trug Treibholz ins Lager, eine leichte Arbeit. Das Treibholz trug man über zwei Kilometer, man holte es aus dem Frühlingseisgang des bis zum Grund gefrorenen Bergflusses. Die von der Rinde befreiten, gewaschenen und vom Wind getrockneten Holzstämmchen waren schwer aus dem Eisgang zu ziehen – die Arme der Schlingpflanzen und Äste, die Kraft der Steine hielten sie dort. Treibholz gab es viel. Allzu schwere Stämme waren nicht darunter. Krist freute sich darüber. Jeder Häftling wählte sich ein Stämmchen nach seinen Kräften. Die Reise über zwei Kilometer ist fast ein ganzer Arbeitstag. Das war ein Invaliden-Außenlager, in einer Siedlung, und die Anforderungen waren gering. Ein Vitamin-OLP – ein separater Vitamin-Lagerpunkt. Hoch lebe Vita! Aber Krist konnte diese schreckliche Ironie nicht verstehen, wollte sie nicht verstehen.
    Tag um Tag verging, und Krist wurde nicht ins Krankenhaus eingewiesen. Andere wurden eingewiesen, aber Krist nicht. Jeden Tag kam der Feldscher an die Wache, zeigte mit dem Handschuh auf Krist und brüllte die Begleitposten

Weitere Kostenlose Bücher