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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Unbegleitete, »wir legen uns zusammen hin, sonst kratzen wir hier ab.«
    Sie legten sich alle in ein Bett und umarmten einander. Dann schlüpfte der Unbegleitete unter den drei Decken hervor, holte sämtliche Matratzen und sämtliche Decken im Saal zusammen, warf den ganzen Haufen auf das Bett, in dem die Häftlinge lagen, und tauchte selbst in Krists knochige Umarmung. Die Kranken schliefen ein.
    1964

Juni
    Andrejew kam aus dem Stollen und ging in die Lampenkammer, um seine erloschene »Wolf« abzugeben.
    »Sie werden wieder nörgeln«, dachte er träge über den Sicherheitsdienst. »Der Draht ist ja gerissen …«
    Im Schacht wurde geraucht, trotz Verbot. Dafür drohte eine neue Haft, aber man hatte noch niemanden erwischt.
    Nicht weit von der kleinen Gesteinshalde traf Andrejew Stupnizkij, den Professor von der Artillerieakademie. Im Schacht arbeitete Stupnizkij als Vorarbeiter für die Fläche, trotz seines Artikels 58. Er war ein rühriger, anstelliger, wendiger Arbeiter, trotz seiner Jahre, die Grubenchefs konnten von solchen Vorarbeitern nur träumen.
    »Hören Sie«, sagte Stupnizkij. »Die Deutschen haben Sewastopol, Kiew und Odessa bombardiert.«
    Andrejew hörte höflich zu. Die Mitteilung klang wie die Nachricht von einem Krieg in Paraguay oder Bolivien. Was hatte Andrejew damit zu tun? Stupnizkij war satt, er war Vorarbeiter – da interessierten ihn auch solche Dinge wie der Krieg.
    Grischa kam dazu, der Dieb.
    »Und was sind MPs?«
    »Ich weiß nicht. So was wie Maschinengewehre wahrscheinlich.«
    »Ein Messer ist schlimmer als jede Kugel«, sagte Grischa belehrend.
    »Das stimmt«, sagte Boris Iwanowitsch, ein Häftling und Chirurg. »Ein Messer im Bauch – das ist die sichere Infektion, immer die Gefahr einer Bauchfellentzündung. Eine Schußverletzung ist besser, sauberer …«
    »Am besten ist ein Nagel«, sagte Grischa Grek.
    »Angetrete-e-en!«
    Sie traten reihenweise an und liefen vom Schacht ins Lager. Der Begleitposten ging niemals in den Schacht hinein – in der unterirdischen Finsternis waren die Menschen vor Schlägen geschützt. Die freien Vorarbeiter waren ebenfalls vorsichtig. Da fällt dir, Gott bewahre, aus dem »Durchbruch« ein Kohleklumpen auf den Kopf … Und wie schlagbereit Nikolaj Antonowitsch, der »Älteste«, auch war, selbst er hatte sich von seiner alten Gewohnheit fast entwöhnt. Es prügelte sich nur Mischka Timoschenko, ein junger Aufseher und Häftling, der seine »Karriere durchboxen« wollte.
    Mischka Timoschenko dachte im Gehen: »Ich melde mich an die Front. Schicken werden sie mich nicht, aber nützlich wird es sein. Sonst kannst du dich prügeln so viel du willst – außer einer Haftstrafe kommt nichts dabei heraus.« Am Morgen ging er zum Chef. Kossarenko, der Chef des Lagerpunkts, war kein übler Bursche. Mischka stand nach allen Regeln stramm.
    »Hier ist meine Meldung an die Front, Bürger Natschalnik.«
    »Sieh an … Na, gib her, gib her. Wirst der erste sein … Bloß werden sie dich nicht nehmen …«
    »Wegen dem Artikel, Bürger Natschalnik?«
    »Nun ja.«
    »Was soll ich denn mit diesem Artikel machen?«, sagte Mischka.
    »Du gehst nicht unter. Du bist ein gewandter Kerl«, krächzte Kossarenko. »Ruf mir doch Andrejew.«
    Andrejew wunderte sich über die Vorladung. Niemals hatte man ihn vor den hellen Blick des obersten Lagerchefs geladen. Aber es blieben die gewohnte Gleichgültigkeit, Furchtlosigkeit, Teilnahmslosigkeit. Andrejew klopfte an die Sperrholztür des Kabinetts.
    »Auf Ihre Anordnung. Häftling Andrejew.«
    »Du bist Andrejew?«, sagte Kossarenko und betrachtete den Eingetretenen neugierig.
    »Ja, Bürger Natschalnik.«
    Kossarenko kramte in den Papieren auf dem Schreibtisch, fand etwas, las es für sich. Andrejew wartete.
    »Ich habe eine Arbeit für dich.«
    »Ich arbeite als Förderer im dritten Abschnitt …«
    »Bei wem?«
    »Bei Korjagin.«
    »Morgen bleibst du zu Hause. Du wirst im Lager arbeiten. Korjagin kommt nicht um ohne Förderer.«
    Kossarenko stand auf, wedelte mit dem Papier und krächzte:
    »Du wirst die Zone niederreißen. Den Draht aufrollen. Eure Zone.«
    Andrejew begriff, dass es um die Zone für Artikel achtundfünfzig ging – anders als in vielen Lagern war die Baracke, in der die »Volksfeinde« wohnten, innerhalb der Lagerzone selbst mit Stacheldraht umgeben.
    »Allein?«
    »Gemeinsam mit Maslakow.«
    »Der Krieg«, dachte Andrejew, »wahrscheinlich nach dem Mobilmachungsplan …«
    »Kann ich gehen, Bürger

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