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Kuenstlernovellenovellen

Kuenstlernovellenovellen

Titel: Kuenstlernovellenovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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zehn Jahre der Erinnerungen: in siebzig Jahren weiter nichts. Ich lebte so rasch. Greifst du meine Erinnerungen an, dann bin ich verloren, dann weiß ich nicht, was geschieht!"
    „Ich will nicht, daß du Erinnerungen habest! Wollten doch endlich auch deines Geistes Augen erlöschen! Du warst ein Intrigant, der mir den Weg verstellte. Warst du überhaupt ein Künstler? Ich zweifle, ob ich mich nicht narren ließ."
    „Du bist grauenhaft! Der Teufel erfindet nichts Schwärzeres! Wer rettet mich vor dir!"
    Die Branzilla sah, knochig aufgereckt, aus Geieraugen ihrem blinden Gatten nach. Er stieß an die Möbel; seine Hände schwankten klagend über seinem Kopfe; da flog die Tür auf.
    „Was schreit ihr schon wieder? Keiner der Tage, die ich hier bin, ist ohne Geschrei vergangen. Die Nachbarn treten auf die Treppen hinaus, so laut schreit ihr. Mama, hast du ihn wieder gequält?"
    Die Branzilla sagte mit flötender Stimme:
    „Beunruhige dich nicht, Töchterchen! Wir unterhielten uns von der Celimena. Dein Vater hat an dem Abend nicht gehandelt, wie er es mir schuldete."
    „Ich hatte das göttliche Lächeln, sagte der Dichter Rasi!"
    „Er hat mir die Rolle verdorben; ich sagte ihm nichts als die Wahrheit."
    „Sie übertrifft den Teufel! Daß du es weißt, Kind, wenn ich nicht mehr leben werde; der Teufel kommt ihr nicht gleich."
    „Werdet ihr mir erklären, um was ihr euch streitet?" „Um Celimena, Töchterchen, die berühmte Oper des Maestro Tiberini." „Ich hörte nie von ihr." „Ich war der erste Pandolfo ganz Italiens!" „Wann war die Aufführung, von der ihr sprecht?" „Laß mich denken,... neunundfünfzig." „Das sind vierzig Jahre! Ihr streitet euch in eurem Alter; du bringst Papa von Sinnen; ihr schreit, daß draußen ein Auflauf entsteht: und alles um Dinge, die vor vierzig Jahren waren! Von denen keiner außer euch mehr weiß! Die Hände, die euch damals Beifall klatschten, sind bald alle vermodert; wollt ihr nun nicht Ruhe geben? Wahrhaftig: etwas Liebenswertes ist's um die Kunst!"
    Die Tochter nahm den Alten beim Arm. „Draußen stehen deine alten Freunde, Papa. Sie getrauen sich nicht herein, aus Furcht vor Mama. Geh mit ihnen ins Wirtshaus; da ist Geld - und bleibe nur dort, bis ich dich zurückhole. Wenn ich dich zurückhole, armer Alter, wird der Wein dich lustig gemacht haben." „Ich fürchte, Tochter, daß kein Wein mehr mich lustig macht."
    Die Tochter kehrte zurück, die Hände auf den Hüften. Die Branzilla erwartete sie scheu.
    „Schön hast du ihn zugerichtet! Hexe! Von deiner Bosheit wird man länger reden als von deiner Kunst. Jetzt duckst du dich,denn ich bin breit und rot. Den schwachen Alten aber wirst du noch zu Tode quälen. Oh! Menschlichkeit hast du nie gekannt. Was tatest du mit mir, als ich jung war; wie verdarbst du elend mein Leben! Ich liebte, und ich ward geliebt. Heute könnte ich glücklich sein. Ich könnte Kinder haben. Nun aber lebe ich allein, in Gasthauszimmern, unter Fremden. Das ist dein Werk. Ich sollte nicht heiraten, du wolltest mich nicht wie die anderen Mädchen. Als ein Monstrum wolltest du mich, als ein singendes Monstrum. Ich hasse die Kunst, die du mich lehrtest!"
    „Undankbares Töchterchen! Und sie ist die berühmteste Konzertsängerin Europas!"
    „Mit vierzig Jahren bin ich's endlich geworden; und ich finde nicht, daß mir mit fünftausend Francs für den Abend meine Entbehrungen bezahlt sind." „Mein Kind, ich sterbe zufrieden, da ich dich groß hinterlasse. Mein Name wird, mit deinem verschmolzen, länger dauern."
    „Das ist's nicht. Eifersüchtig warst du, das ist's." „Ich habe große Laster", sagte die Branzilla und senkte schief den Kopf. „Ich werde wohl auch dieses haben. Aber glaubst du, Tochter, daß ich böse bin, weil es mir gut geht? Es geht mir nicht gut; es ist mir niemals gut gegangen; und auch mir sind meine Entbehrungen nicht bezahlt worden. Ich denke jetzt manchmal des Fürsten Dario Rupa, eines jungen Mannes, der, als ich selbst ganz jung war, für mich starb. Richtiger wär's vielleicht, zu sagen, daß ich ihn tötete. Soll ich dir etwas Schreckliches gestehen? Ich wünsche mir jetzt oft, ich hätte ihn damals nicht dem Hauptmann verraten, ich wäre mit ihm in den Kerker gegangen... Glaubst du, daß ich ihm noch gefallen könnte? Ich habe noch meine Stimme. Nächsten Monat werde ich im Palazzo Doria di Gio-conda singen. Wird nicht der Russe dort sein, der dich am Dienstag besuchte? Er gefiel mir; und er behandelte mich, als

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