Künstlerpech: Palzkis achter Fall
auch richtig gefährliche Ermittlungen bevorstanden, davon ahnte ich zu diesem Zeitpunkt zum Glück noch nichts.
Szene 5 Der Morgen danach
Ich setzte Gerhard im Waldspitzweg an der Dienststelle ab. Aus Sicherheitsgründen verzichtete ich darauf, auszusteigen und mit reinzugehen. Viel zu groß war die Gefahr, KPD über den Weg zu laufen. Den Restsamstag wollte ich zu Hause mit der Familie genießen.
»Wann sehen wir uns wieder?«, fragte Gerhard zum Abschied, und es klang, als würde er sich nicht sehr darauf freuen.
Ich zog die Schultern hoch. »Keine Ahnung, wie lang die Kollegen aus Frankenthal brauchen, um uns die Akte zu übergeben. Wenn wir uns morgen Nachmittag kurz zusammensetzen, dürfte es früh genug sein. Außerdem ist Jutta im Büro, die nimmt das Zeug für uns bestimmt entgegen. Kann ja nicht so viel sein.«
Ich verabschiedete mich und fuhr mit knurrendem Magen heim. Ohne meiner ewig vor sich hinschnatternden Nachbarin Frau Ackermann über den Weg zu laufen, konnte ich unser Haus betreten.
»Papa«, rief mein Sohn Paul aus dem Wohnzimmer, als er mich im Flur hörte. Wie ein Wirbelwind kam er auf mich zugestürmt und sprang an mir hoch. »Papa, was ist das Gegenteil von Gegenteil?«
Ich setzte ihn seufzend ab und zog meine Schuhe aus. Er ließ mir keine Ruhe. »Was ist die Mehrzahl von Mehrzahl?«
Tief durchatmen war die Devise. Nur so lief ich nicht Gefahr einer Überreaktion. Paul machte im Moment eine etwas schwierige Lebensphase durch. Er stellte den ganzen Tag die unsinnigsten Fragen, die man sich vorstellen konnte. Ich hatte keine Ahnung, ob die ihm selbst einfielen oder wo er sie herhatte. Gestern fragte er mich, warum die Pizzakartons eckig sind und woran das Tote Meer gestorben ist und ob das Verschleppen einer Grippe strafbar ist. Ich vermutete, dass Paul mit seinem Fragezwang die latente Eifersucht auf den neuen Familienzuwachs kompensierte. Bisher konnte er seinen Willen mehr oder weniger, das heißt eigentlich immer, mit seiner Hartnäckigkeit durchsetzen. Jetzt hatte er zwei neue Geschwister und drei Probleme: Das erste war, dass eines von den Zwillingen ein Mädchen war. Und Mädchen waren ausnahmslos alles Zicken, behauptete er regelmäßig, wenn er sich mit seiner größeren Schwester Melanie zoffte. Sein zweites Problem lag darin begründet, dass Lars aufgrund seines Alters zurzeit andere Prioritäten setzte, als mit seinem Bruder Autorennbahn oder Monopoly zu spielen. «Bleibt der so doof?«, hatte er uns bereits am zweiten Tag nach Lars’ Geburt gefragt.
Sein drittes Problem war das mächtigste. Es machte ihn rasend, wenn Stefanie oder ich auf jedes kleine Schreien oder auch ein mehr als eine Minute dauerndes Nichtschreien unserer Zwillinge sofort reagierten.
Vorgestern hatte er uns mit wütendem Blick angebrüllt: »Wegen jedem kleinen Pieps rennt ihr immer sofort zu Lars und Lisa. Wenn ich mal was habe, werde ich ignoriert. Und dann werden die beiden sogar gelobt, wenn sie rülpsen, spucken oder die Windel vollkacken. Ich bekomme immer alles, was schön ist, verboten. Bis vor zwei Jahren dachte ich, mein Name wäre ›Lassdas‹!«
Stefanie und mir war das Problem durchaus bewusst. Wir mussten uns mehr um Paul kümmern, keine Frage. Allerdings war das täglich zur Verfügung stehende Zeitbudget mit 24 Stunden mehr als ausgereizt. Wenn zusätzlich die Sache in Frankenthal arbeitsmäßig ausartete, würde der mickrige Schlafanteil am Budget noch weiter sinken und irgendwann gegen Null gehen. Bereits nach den wenigen Tagen, die die Geburt der Zwillinge zurücklag, bemerkte ich deutlich eine rapide Abnahme meiner Konzentrations- und Denkfähigkeit.
Stefanie rettete mich vor unserem Sohn.
»Lass deinen Vater erst mal reinkommen. Er hat doch bestimmt Hunger.« Fragend oder neugierig, so genau konnte ich ihre Gesichtszüge nicht deuten, schaute sie mich an. Ich wusste genau, wie der Hase lief.
»Meine liebe Frau, selbstverständlich bin ich hungrig. Ich habe seit heute Morgen so gut wie nichts gegessen.« Den kleinen Imbiss-Abstecher mit Lisa behielt ich für mich. »Du tust immer so, als würde ich während meiner Arbeit von einer Imbissbude zur nächsten fahren.«
»Stimmt das etwa nicht?«, fragte sie scheinheilig, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Wir haben bereits gegessen, ich wärm dir deinen Teil auf. Ich hoffe, es macht dir nichts aus.«
»Ach was«, wandte ich ein, »ich merk da sowieso nie einen Unterschied.«
Mist, da war mein Mund mal wieder
Weitere Kostenlose Bücher