Küss den Wolf
on top.«
»Beruhig dich, Schätzchen, es ist nicht so, wie du denkst. Mein geheimnisvolles Date war nichts weiter als meine neue Lektorin.« Ihre neue Lektorin? Das würde ja bedeuten, dass Verena eine alte hatte – hatte sie aber nicht, wozu auch?
»Stell dir vor, was passiert ist. Ich habe einen Buchvertrag abgeschlossen. Ich werde Autorin«, erklärte Verena und ihre Augen leuchteten vor Stolz. »Du veröffentlichst mal wieder so eine wissenschaftliche Abhandlung?«, fragte ich verwirrt, weil das ja nichts Besonderes war. Mum hatte andauernd irgendwelche Publikationen am Start, so wie es sich für eine renommierte Professorin gehörte. »Nein, nichts in der Art. Ich habe einen Roman geschrieben, genauer gesagt eine Liebesgeschichte mit historischem Hintergrund. Sie spielt in der Provence. Das Buch erscheint im Oktober, also pünktlich zur Frankfurter Buchmesse. Und weil der Verlag an einen großen Erfolg glaubt, fange ich schon demnächst mit dem zweiten an.« Okay, das waren ja Neuigkeiten!
»Hui, das ist ja, also… das ist ja toll«, murmelte ich, während sich die Gedanken in meinem Kopf überschlugen.
Wie kann jemand eine Liebesgeschichte schreiben, der seit gefühlten hundert Jahren keine Beziehung mehr hat? Und seit wann telefonierte man mitten in der Nacht mit seiner Lektorin? Daran war definitiv etwas faul!
»Und wieso spielt das Buch ausgerechnet in der Provence?«, fragte ich, um ein bisschen Zeit zu gewinnen und das Chaos in meinem Kopf zu sortieren.
»Nun das ist… weil… nun ja…« Verena wand sich vor Verlegenheit, das war nicht zu übersehen. Ich starrte sie an und wollte nur noch eins: die Wahrheit! »Ich habe diesen Handlungsort gewählt, weil ich mich so nach der Landschaft dort sehne und weil… dein Vater und ich wieder Kontakt haben. Sehr schönen Kontakt, um genau zu sein.« Es dauerte einen Moment, bis diese Information wirklich bei mir angekommen war. »Und seit wann ist das so?«
»Seit Theodora im Krankenhaus war. Kurz nachdem Jacques und du telefoniert hattet, rief er ein zweites Mal an, um zu fragen, wie es deiner Großmutter geht und ob er nicht doch nach Hamburg kommen solle. Da du zu diesem Zeitpunkt aber gerade nicht da warst, bin ich ans Telefon gegangen, und nun ja…«
»Jetzt erzähl mir bitte nicht, dass er inkognito in Hamburg ist und ihr euch seitdem heimlich trefft!« Verena riss erstaunt die Augen auf. »Aber Spätzchen, wie kommst du denn auf diese Idee? Das ist doch vollkommen absurd. Wir haben telefoniert und dabei festgestellt, dass wir einander immer noch viel bedeuten. Und dass wir es gern noch einmal miteinander versuchen würden.« Jetzt wurde es mir eindeutig zu viel.
Meine Mutter benahm sich wie ein liebeskranker Teenager, der sein Gehirn auf Stand-by geschaltet hatte. Außerdem war das Ganze total unlogisch. Sie hatte den Roman doch nicht erst in den letzten drei Wochen geschrieben. Als wäre das alles noch nicht genug, klingelte es in diesem Moment an der Tür. »Ich seh mal eben nach, wer da ist«, sagte ich, froh, dem ganzen Zirkus für einen kurzen Moment entfliehen zu können.
»Hier ist Leo, kann ich raufkommen?«, ertönte es durch die Sprechanlage. »Äh, ja klar…«, antwortete ich, obwohl der Zeitpunkt nicht ungünstiger hätte sein können. »Wir haben allerdings gerade eine kleine Familienkrise«, flüsterte ich ihm ins Ohr, als ich ihn auf dem Treppenabsatz abfing. »Schon okay, ich kenne so was«, antwortete Leo und gab mir einen Kuss. »Aber ich habe eine Idee, wie ich deiner Großmutter helfen kann, und wollte nicht am Telefon mit dir darüber reden. Wenn deine Mutter dabei ist, umso besser, schließlich geht es ja um das Familienerbe.«
»Hallo, Leo, schön dich zu sehen«, grüßte Verena freundlich und fragte, ob er einen Kaffee oder Tee wollte. Vermutlich war sie genauso froh wie ich über die Unterbrechung unseres Streits. Ich schob Leo den Brötchenkorb hin und konnte es kaum abwarten zu hören, was er zu berichten hatte.
»Wie Sie vielleicht wissen, Frau Möller, habe ich zusätzlich zu meinem Studium noch ein paar Nebenjobs und arbeite hin und wieder in unterschiedlichen Gartenbaubetrieben. Über einen Arbeitgeber habe ich zufällig herausgefunden, dass der Betreiber einer Kette von Erholungsheimen nach einem geeigneten Platz sucht, an dem sozial benachteiligte Kids Ferien inmitten unberührter Natur machen können.« Ich hielt vor Spannung die Luft an und auch Mum guckte sehr interessiert.
»Was ich damit sagen will:
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