Kuess mich doch - Roman
Ricky war da anders. Er hatte nie viel von sich erzählt, und aus diesem Grund hatte er auch all die Jahre nie Probleme gehabt. Trotzdem hörte er nun interessiert zu, obwohl ihn das Leben seiner ehemaligen Spießgesellinnen im Grunde nichts mehr anging. Lucy war offensichtlich Witwe und hatte einen Sohn. Ethel war ebenfalls verwitwet, hatte aber keine Kinder, die ihr im Alter hätten Gesellschaft leisten können. Aber dafür hätten sie ja einander, erklärten die beiden Anna, und tätschelten sich gegenseitig die Hand. Das gab Ricky den Rest.
Er konnte nicht erkennen, ob ihnen das Alter gnädiger gewesen war als ihm, da sie beide Kopftücher und alberne große, dunkle Sonnenbrillen trugen, die ihr halbes Gesicht verdeckten.
Beinahe hätte Ricky laut aufgelacht und sich damit verraten.
»Wir interessieren uns für den Ring, den Sie dem attraktiven Journalisten geschenkt haben.« Es war Ethel, die Ricky damit wieder in die Gegenwart zurückholte.
»Haben Sie schon gehört, dass er zum begehrtesten Junggesellen der Stadt ernannt wurde? «, sagte Lucy.
Sie liest also immer noch die Klatschspalten, dachte Ricky bei sich.
»Ja. Er wollte überhaupt keine Belohnung annehmen, aber ich habe darauf bestanden, und dann hat er sich schließlich für den Ring entschieden. Aber was auch immer Sie darüber wissen wollen, ich kann Ihnen da leider nicht wirklich weiterhelfen«, sagte Anna.
Braves Mädchen, dachte Ricky.
»Sie wissen nicht einmal, wo er her ist?«, erkundigte sich Ethel.
»Da müssen Sie mit meinem Vater sprechen. Der Ring war eines von zahllosen Liebhaberstücken, das er im Lauf der Jahre gesammelt hat. Er hat nämlich eine ausgeprägte Sammlerleidenschaft. «
»Das glaube ich gern«, murmelte Lucy.
»Wie bitte?«, fragte Anna überrascht.
Altes Lästermaul , dachte Ricky. Sie hat immer noch dasselbe lose Mundwerk wie früher.
»Äh, ich sagte, das glaube ich gern. Ich weiß aus der Sendung Oprah , dass mehr Menschen unter dieser ernst zu nehmenden psychischen Störung leiden, als man annehmen würde. Die Krankheit kann dazu
führen, dass man alles hortet, was einem in die Finger kommt«, erklärte Lucy in gewichtigem Tonfall.
Anna seufzte. »Ich weiß. Deshalb verkaufe ich auch immer wieder einige Stücke, wenn mein Vater nicht im Laden ist. «
»Ist er denn jetzt hier?«, wollte Ethel wissen. Sie klang nervös.
»Nein. Er ist zur Bank gegangen, aber er wird bald zurück sein. Wollen Sie vielleicht auf ihn warten und mit ihm reden? «, schlug Anna vor.
Zum Glück hatte Ricky an der Hintertür nie eine Ladenglocke angebracht. Nicht einmal seine Tochter wusste, dass er schon zurück war.
»Nein, nein, schon gut«, wehrte Lucy ab. »Wir müssen jetzt gehen.«
Ricky nickte. Ja, ja das mussten sie. Haut ab. Verschwindet, und kommt nie wieder.
»Ist das Ihr Vater? «, hörte er Ethel fragen.
Ricky schloss die Augen und unterdrückte ein Stöhnen. Sie meinte wohl das Foto, das an der Wand hinter der Ladentheke hing.
»Ja, das ist er, und das da ist Ed Koch, der damalige Bürgermeister von New York«, verkündete Anna voller Stolz.
Ricky erinnerte sich noch lebhaft an den Abend, als er Ed Koch in einem Restaurant getroffen und seine Frau – möge sie in Frieden ruhen – darauf bestanden hatte, dass er sich zusammen mit dem Bürgermeister fotografieren ließ. Später hatte sie das Bild vergrößern und rahmen lassen und es im Laden aufgehängt.
Zu dumm, dass er nicht mehr daran gedacht hatte! Wegen dieses dämlichen Fotos wussten Lucy und Ethel nun, dass Ricky tatsächlich der Besitzer des Ladens war und den Ring all die Jahre nicht verkauft hatte.
Das Telefon klingelte, und Anna entschuldigte sich, um den Anruf entgegenzunehmen. Wie gut, dass sich das Telefon direkt hinter ihr im Laden befand und nicht im Hinterzimmer!
»Das Foto ist zwar schon vor einer ganzen Weile aufgenommen worden, aber schon damals zeigten sich erste Alterserscheinungen«, bemerkte Ethel. Ricky entging der schadenfrohe Unterton in ihrer Stimme nicht.
»Ganz recht. Guck dir diesen Bierbauch an und die Glatze, die er mit seinen paar Härchen zu kaschieren versucht. Einfach lächerlich.«
Lucy war schon immer ein Miststück gewesen. Ricky fuhr sich mit der Hand über seinen mittlerweile vollkommen kahlen Kopf. Die beiden sahen ohne ihre Verkleidung bestimmt auch nicht mehr aus wie zwei Covermodels.
»Bitte verzeihen Sie die Unterbrechung«, sagte Anna, nachdem sie aufgelegt hatte, und wandte sich wieder den beiden
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