Küss mich Engel
auf unverzeihliche Weise aus den Angeln gehoben hatte. Wenn dies hier vorbei war, würde sie sich den Folgen stellen müssen, und die würden schrecklich sein.
Ihr Vater, der ganz alt und abgehärmt aussah, stand nicht weit hinter Alex, gleich neben Sheba. Heather klammerte sich an Bradys Arm. Die Kindergartenkinder waren vollkommen still.
Die Außenwelt war wieder hereingebrochen, und sie konnte nicht länger bleiben, wo sie war. Langsam erhob sie sich. Die Hand auf Sinjuns Nacken ruhend, vergrub sie vorsichtig die Finger in seinem Fell.
»Sinjun kehrt jetzt zurück in seinen Käfig«, verkündete sie. »Bitte haltet euch von ihm fern.«
Sie fing an zu gehen und war gar nicht überrascht, als der Tiger sich ihr anschloss, denn ihre Seelen waren so eng miteinander verbunden, dass ihm keine Wahl blieb. Ihr Bein berührte seine Flanke, während sie ihn zum Käfig zurückführte. Mit jedem Schritt war sie sich der Pistole bewusst, die Alex auf Sinjun gerichtet hielt.
Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto stärker spürte sie die Traurigkeit des Tigers. Sie wünschte, ihm begreiflich machen zu können, dass dies der einzige Ort war, an dem er in Sicherheit war. Als sie beim Käfig angekommen waren, verweigerte er auf einmal.
Sie kniete nieder und blickte ihm tief in die Augen. »Ich bleib noch eine Weile bei dir.«
Er betrachtete sie auf seine typische Weise, ohne zu blinzeln. Und dann, zu ihrem Erstaunen, rieb er die Wange an ihrem Kopf. Seine Schnurrhaare strichen über ihren Hals, und noch einmal hörte sie dieses tiefe, schroffe Schnurren.
Und dann war er weg. Mit einem kräftigen Satz seiner mächtigen Hinterbeine war er in den Käfig gesprungen.
Sie hörte hektische Bewegungen hinter sich und fuhr gerade noch herum, um zu sehen, wie Neeco und Alex auf den Käfig zugerannt kamen, bereit, nach der zerbrochenen Käfigtür zu greifen und sie zuzudrücken.
»Halt!« Sie streckte die Arme aus, um sie aufzuhalten. »Kommt ja nicht näher.«
Sie erstarrten.
»Aus dem Weg, Daisy.« Alex‘ Stimme zitterte vor Anspannung, die auch seine attraktiven Gesichtszüge auf einmal ganz hart wirken ließ.
»Lasst uns in Ruhe.« Sie trat direkt vor die offene Käfigtür und kehrte ihnen den Rücken zu.
Sinjun beobachtete sie. Jetzt, wo er wieder eingesperrt war, stand er arrogant da, wie immer: königlich und voller Hochmut. Alles hatte er verloren, außer seiner Würde. Irgendwie wusste sie, was er wollte, und konnte es nicht ertragen. Er wollte, dass sie ihn wieder einsperrte. Er hatte sie dazu erwählt, die kaputte Tür zuzumachen und ihn wieder einzusperren.
Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie weinte, bis sie spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen kullerten. Sinjuns golden schimmernde Augen musterten sie mit der gewohnten Verachtung, was bei ihr immer ein Gefühl der Unterlegenheit auslöste.
Nun mach schon, Schwächling! befahlen seine Augen. Jetzt gleich.
Sie riss sich zusammen und hob die Arme, um die Käfigtür zu packen. Die gebrochene Angel machte es ihr schwer, sie zu bewegen, und mit einem Aufschluchzen schaffte sie es, sie zu schließen.
Alex eilte an ihre Seite und langte nach der Tür, um sie zu sichern, doch sobald er sie berührte, fletschte Sinjun die Zähne und stieß ein markerschütterndes Brüllen aus.
»Lass mich das machen!« rief sie. »Du regst ihn bloß auf. Bitte. Ich mach das schon.«
»Verdammt!« Er trat rasch zurück, voller Wut und Frustration.
Ihre Position war denkbar ungünstig. Die Plattform, auf der der Käfig stand, war mindestens einen Meter hoch, und sie musste die Arme hochstrecken, um die Tür zuzuhalten. Neeco tauchte auf einmal mit einem Holzschemel auf, den er neben ihr abstellte. Dann gab er ihr ein Seil.
Einen Moment lang wusste sie nicht, was sie damit anfangen sollte.
»Binde die Tür damit an die Gitterstäbe, dort, wo die Angel gebrochen ist«, sagte Alex. »Lehn dich an die Tür, während du das machst, damit sie nicht wieder aufgeht. Und um Himmels willen, spring runter, falls er dich angreifen sollte.«
Er trat hinter sie und schlang die Arme um ihre Taille, um sie zu halten. Das gab ihr ein wenig Stabilität, während sie versuchte zu tun, was er gesagt hatte, und die Tür mit der Schulter zudrückte, während sie das Seil um die kaputte Türangel schlang. Sie fing an zu zittern in ihrer unbequemen Position. Sie fühlte die Ausbuchtung der Pistole, wo er sie in den Bund seiner Jeans gesteckt hatte.
Er umklammerte sie noch fester. »Du hast‘s
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