Küss mich Engel
sie nicht eher anfassen, als bis sie begriff, wie die Dinge zwischen ihnen liefen. Und bis das geschah, hatte sie höchstwahrscheinlich bereits ihre Koffer gepackt und sich aus dem Staub gemacht.
Er nahm sie beim Arm und steuerte sie zum Trailer. Sie wehrte sich kurz, gab jedoch rasch auf. »Ich fang wirklich langsam an, dich zu hassen«, sagte sie erschöpft. »Das weißt du, nicht wahr?«
Es überraschte ihn, dass ihm ihre Worte weh taten, noch dazu, wo es genau das war, was er wollte. Sie war nicht geschaffen für so ein hartes Leben, und er hatte nicht die Absicht, sie unnötig zu quälen, indem er die Sache endlos in die Länge zog. Es war besser, wenn sie gleich merkte, dass sie‘s hier nicht schaffen konnte.
»Das ist vielleicht das beste.«
»Bis zu diesem Zeitpunkt hab ich noch nie einen Menschen gehasst. Nicht mal Amelia oder meinen Vater, und beide haben mir genug Grund gegeben. Aber dir ist‘s egal, was ich von dir halte, nicht wahr?«
»Genau.«
»Ich glaub nicht, dass mir je ein kälterer Mensch begegnet ist.«
»Sicher nicht.« Kalt, Alex. Du bist so kalt. Das hatte er schon oft von Frauen gehört. Von guten Frauen, mit einem guten Herzen. Kompetente, intelligente Frauen, die etwas Besseres verdienten als einen Mann, dessen Gefühlswelt bereits lange, bevor sie ihn trafen, deformiert worden war.
Als er jünger war, hatte er noch geglaubt, eine eigene Familie könne vielleicht jene Einsamkeit, jene wunden Stellen in ihm heilen. Aber alles, was er mit seiner endlosen Suche nach einer dauerhaften, tiefen Beziehung zu einem Menschen erreicht hatte, war, diese großherzigen, wunderbaren Frauen zu verletzen und sich selbst zu beweisen, dass manchen Menschen die Liebesfähigkeit geraubt wird, bevor sie eine Chance hat, sich zu entwickeln.
Sie waren beim Trailer angekommen. Er fasste um sie herum, öffnete die Tür und folgte ihr nach drinnen. »Ich geh mich duschen. Dann helf ich dir beim Saubermachen.«
Sie stoppte ihn, bevor er die Badezimmertür erreichte. »Hättest du nicht wenigstens so tun können, als ob du ein wenig glücklich wärst, heute abend?«
»Ich bin, wie ich bin, Daisy. Ich mache keinem was vor.
Nie.«
»Sie haben‘s doch bloß nett gemeint. Wär‘s so schlimm gewesen, zu tun als ob?«
Wie konnte er ihr das erklären, so, dass sie es verstand? »Du bist leicht aufgewachsen, Daisy, ich ziemlich hart. Härter, als du‘s dir vorstellen kannst. Wenn man aufwächst wie ich, dann lernt man, dass man etwas haben muss, an das man sich halten kann, das immer für einen da ist, das einen davon abhält, zum Tier zu werden. Für mich ist das mein Stolz. Den gebe ich nicht auf. Nie.«
»Auf so was kann man doch nicht sein Leben aufbauen. Stolz ist nicht so wichtig wie andere Dinge.«
»Welche zum Beispiel?«
»Zum Beispiel ...« Sie zögerte, als ob sie wüsste, dass ihm das, was jetzt kam, nicht gefallen würde. »Wie Fürsorge und Mitgefühl. Liebe.«
Er kam sich alt und müde vor. »Liebe existiert nicht für mich.«
»Sie existiert für jeden.«
»Nicht für mich. Versuch nicht, mich zu romantisieren, Daisy. Das wär bloß Zeitverschwendung. Ich hab gelernt, nach meinen eigenen Regeln zu leben. Ich versuch ehrlich zu sein, und ich versuch fair zu sein. Das ist der einzige Grund, warum ich dir die Sache mit dem Kuchen durchgehen lasse. Ich weiß, dass dies eine harte Umstellung für dich ist, und du tust wohl das Beste, was du kannst. Aber bring Fairness nicht mit Sentimentalität durcheinander. Ich bin nicht sentimental. All diese weichen Emotionen mögen bei anderen funktionieren, aber nicht bei mir.«
»Das gefällt mir nicht«, flüsterte sie. »Das gefällt mir ganz und gar nicht.«
Als er nun sprach, konnte er sich nicht erinnern, seine Stimme je so traurig gehört zu haben. »Du bist einen Bund mit dem Teufel eingegangen, Schätzchen. Je schneller du das begreifst, desto besser für dich.«
Er ging ins Bad, machte die Tür hinter sich zu und schloss die Augen. Er wollte vergessen, was er auf ihrem Gesicht gesehen hatten, die Gefühle, die in rascher Folge darüber hinweggeglitten waren: Misstrauen, eine beinahe kindliche Unschuld und die verzweifelte Hoffnung, dass er vielleicht doch nicht so schlimm war, wie er zu sein schien.
Armes kleines Hohlköpfchen.
6
»Geh weg.«
»Letzte Warnung, Engelchen. In drei Minuten ist Abfahrt.«
Sie machte ein Auge gerade weit genug auf, um einen Blick auf die Uhr neben der Couch werfen zu können, und sah, dass es fünf Uhr
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