Küss mich Engel
Käfig.«
»Das ist doch egal!« Hysterie drohte sie zu überwältigen. Erkannte er denn nicht, dass sie der Käfig nicht vor dem schützen konnte, was sie in den Augen des Tigers gesehen hatte?
Aber er verstand nicht, und es war ihr unmöglich, ihm dieses deutliche Gefühl zu erklären, das Gefühl, ihrem Schicksal von Angesicht zu Angesicht begegnet zu sein. Sie wich ein wenig zurück. »Es tut mir leid. Du hast recht. Ich hab mich dumm benommen.«
»Wär nicht das erste Mal«, entgegnete er grimmig.
Sie blickte zu ihm auf. Selbst mit all den Kuchenkrümeln und der Zuckerglasur im Gesicht sah er herrlich wild und furchteinflößend aus. Wie der Tiger. Genau wie der Tiger. Sie merkte in diesem Moment, dass sie sich auf eine neue Art vor ihm zu fürchten begann, eine Art, die sie nicht ganz begriff. Sie wusste nur, dass ihre Angst über die rein physische Bedrohung, die er für sie darstellte, hinausging. Es war mehr als das und weniger greifbar. Sie fürchtete, dass er irgendwie ihre Seele zerstören könnte.
Sie war am Ende ihrer Kräfte. Zu viele Veränderungen, zu viele Konflikte. Jetzt konnte sie nicht mehr, konnte nicht mehr kämpfen. Sie war bis ins Mark erschöpft und fand kaum noch die Kraft zu sprechen.
»Jetzt wirst du mir wohl wieder mit was Schrecklichem drohen, stimmt‘s?«
»Findest du nicht, dass du das verdient hättest? Kinder werfen mit Sachen, nicht Erwachsene.«
»Du hast natürlich recht.« Sie fuhr sich zitternd durchs Haar. »Nun, wie sieht‘s aus, Alex? Willst du mich demütigen? Davon hatte ich heute Abend schon eine kräftige Dosis.
Wie wär‘s mit Verachtung? Davon hatte ich auch schon mehr als genug. Ablehnung? Das funktioniert auch nicht. Es ist mir mittlerweile egal geworden, ob die Leute mich mögen oder nicht.« Sie hielt inne, und ihre Stimme drohte zu brechen. »Du wirst dir wohl was ganz Neues ausdenken müssen, fürchte ich.«
Alex, der zu ihr hinunterblickte, fand, dass er noch nie ein so unglückliches menschliches Wesen gesehen hatte, und etwas in ihm löste sich mit einem Mal. Er wusste, dass sie Angst vor ihm hatte - er hatte ja dafür gesorgt doch er konnte noch immer nicht glauben, dass sie trotzdem den Nerv gefunden hatte, mit dem Kuchen nach ihm zu werfen. Armes kleines Hohlköpfchen. Ihr war immer noch nicht klargeworden, dass es ihr nichts half, ihn mit ihren großen unschuldigen Babyaugen anzusehen und mit ihren kleinen Kätzchenkrallen auf ihn loszugehen.
Er fühlte, wie sie unter seinen Händen zitterte. Ihre kleinen Krallen waren jetzt eingezogen, und in ihren Augen las er nurmehr blanke Verzweiflung. Wusste sie, dass ihr all ihre Gefühle vom Gesicht abzulesen waren?
Er fragte sich, wie viele Männer sie wohl schon gehabt haben mochte. Wahrscheinlich wusste sie‘s nicht mal. Trotz ihrer großen Unschuldsaugen war sie von Natur aus ein vergnügungssüchtiger Mensch. Und flatterhaft. Er konnte sich sehr gut vorstellen, wie sie in den Armen von mehr als einem Playboy aufwachte, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu haben, wie sie dorthin gekommen war.
Nun, zumindest dafür würde sie gut sein. Während er sie so ansah, musste er gegen den Drang ankämpfen, sie hochzuheben und zum Trailer zurückzutragen, wo er sie auf sein Bett legen und die Antworten auf jede einzelne Frage finden würde, die ihn zu quälen begonnen hatten. Wie fühlte sich ihr Seidenhaar an, wenn es wie eine schwarze Wolke auf seinem Kissen ausgebreitet lag? Er wollte sie sehen, wie sie nackt auf den zerwühlten Laken lag, wollte sehen, wie ihre weiße Haut neben seiner gebräunten aussah, wollte wissen, wie sich ihre Brüste in seinen Händen anfühlten. Er wollte sie riechen, fühlen und berühren.
Erst gestern, auf der Hochzeitsfeier, hatte er sich gesagt, dass sie nicht der Typ Frau war, den er sich als Bettgenossin aussuchen würde, aber das war, bevor er ihren runden kleinen Popo unter seinem T-Shirt hatte hervorblitzen sehen, als sie heute morgen aufwachte. Das war, bevor er sie in seinem Pickup beobachtet hatte, wie sie ihre Beine übereinanderschlug, mal diese, mal jene Seite, bevor er ihre alberne kleine Sandale von ihrem Zeh hatte baumeln sehen. Sie hatte hübsche Füße, klein und wohlgeformt, mit einer ausgeprägten, feinen Wölbung und rotlackierten Zehennägeln, ein Rotton wie das Kleid einer Madonna von Signorelli.
Es gefiel ihm nicht, dass andere Männer mehr über ihre sexuellen Vorlieben wussten als er. Doch er wusste ebenfalls, dass es zu früh war. Er konnte
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