Kuess mich - es ist Karneval
sicher gewesen, daß sie nach ihrem gestrigen Nachmittagsschlaf und einer ausreichenden Nachtruhe heute schon sehr früh aufwachen würde. Aber es war bereits nach Mittag gewesen, als sie endlich die Augen geöffnet hatte. Sie hatte geduscht und sich angezogen und war gerade dabei gewesen, eine Tasse Kaffee auf der Terrasse zu trinken, als Roberto auftauchte.
Ellen sah erstaunt auf. “Sagtest du nicht, du hättest heute besonders viel zu tun?”
“So war es ursprünglich auch, aber ich habe mich mit allem sehr beeilt und konnte deshalb früher gehen”, erklärte Roberto.
“Also hättest du mir die Fabrik doch zeigen können”, sagte sie leicht verärgert.
“Ich werde mit dir den Weg nach Ipanema hinunterfahren”, sagte Roberto, ohne auf Ellens Bemerkung einzugehen.
Außerdem schlug er vor, auf der Copacabana einen Lunch einzunehmen.
Ellen schob ihre dunkle Sonnenbrille hoch. Am langen, silbrig glitzernden Strand, der im Hintergrund von grünen Granitbergen begrenzt war, standen sich sanft im Wind wogende Palmen in kleinen Gruppen. Die Strandstraße war von eleganten Apartmenthäusern und gelegentlich von großen Luxushotels gesäumt. Ein Anblick wie auf einer Ansichtskarte.
Hin und wieder sah man eine Bar, jedoch keine Geschäfte.
Diese lagen ein bis zwei Straßen weiter zurück. In Ipanema standen mehr Wohnhäuser als an der Copacabana, es war auch vornehmer, trotzdem pulsierte auch hier das Leben.
“Ipanema ist die indianische Bezeichnung für gefährliche Wasser”, erklärte Roberto und spielte die Rolle des Reiseführers.
Er sah hinüber zu den blauen schaumgekrönten Wellen, die gegen den Strand schlugen, und Ellen folgte seinem Blick.
Surfer ließen sich geschickt über die Wogen gleiten, und die wendigen Boote mit ihren regenbogenfarbenen Segeln sahen wie unzählige bunte Schmetterlinge aus.
“Ist dieses Wasser denn gefährlich?” fragte Ellen.
“Es gibt hier eine starke Unterströmung, deshalb ist es sicherer, im flachen Wasser zu bleiben. Ipanema ist ein herrlicher Platz zum Leben, und sein Strand zieht Intellektuelle, Lehrer und Dichter an, die ihn gern als Ort für ihre Gedankenarbeit, Diskussionen und Vorträge wählen.”
“Cocktailparties werden hier aber auch abgehalten”; warf Ellen ein. Im weißen Sand lief eine Clique spärlich bekleideter, sonnengebräunter Menschen umher. Sie rauchten, hielten Drinks in den Händen und unterhielten sich lebhaft miteinander.
Rios Reiz war legendär. Seine Menschen, der
immerwährende Sommer und seine Musik erzeugten eine Atmosphäre von Heiterkeit und Fröhlichkeit, die auf jeden ansteckend wirkte. “Mir gefällt es hier!” erklärte Ellen strahlend.
“Und du gefällst den Leuten.”
Ein liegengebliebener Lastwagen hatte den Verkehr zum Stehen gebracht, und vom Gehweg aus sahen ein paar hübsche junge Männer in nassen Badehosen in Ellens Richtung.
“Nein, sie meinen nicht mich, sondern dein Kabriolett.”
“Vielleicht”, räumte Roberto ein. “Alle Leute bewundern diesen Wagen. Aber leider ist es von bloßer Bewunderung bis zum Kauf ein langer Weg.”
“Erklär mir doch bitte die technischen Einzelheiten des Kabrioletts”, bat Ellen.
“Warum willst du das wissen?”
“Weil ich einen Artikel veröffentlichen möchte, in dem die Vorzüge dieses Autos aus weiblicher Sicht dargestellt werden.”
“Garantiert werden die Leute in aller Welt deine Worte lesen und zu Tausenden Bestellungen aufgeben.” Um Robertos Mundwinkel zuckte es leicht. “Warum habe ich nicht selbst schon daran gedacht?”
Ellen runzelte die Stirn. “Mach dich nicht über mich lustig.
Schließlich ist Journalismus meine Stärke.”
Roberto lächelte herablassend. “In der Wohnung habe ich eine Broschüre, die du lesen kannst. Außerdem werde ich meine Sekretärin bitten, die technischen Daten für dich zusammenzustellen, obwohl ich befürchte; daß sie das nicht vor dem Ende der Ferien schaffen wird.”
“Das macht nichts”, erwiderte Ellen und sah ihn von der Seite an. Es schien so, als ginge Roberto zuvorkommend auf ihre Wünsche ein. Trotzdem war ihr klar, daß er einerseits versuchte, ihre Laune nicht zu verderben, andererseits aber alles daransetzte, sie von seinen Geschäften fernzuhalten. “Ich versuche doch nur, dir zu helfen”, erklärte sie mit Nachdruck.
“Du willst dich also nicht nur einmischen?” fragte Roberto und warf einen skeptischen Blick auf sie. “Ich möchte nur wissen, warum es mir so schwer fällt, dir das zu
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