Kuess mich - es ist Karneval
perfekt wie die Tänzer einer Broadway-Reyue. Ellen war begeistert.
“Das ist eine Samba-Schule”, erklärte Roberto. “Sie üben für den Karnevalszug.”
Die Vorstellung fand auf beiden Fahrbahnen statt und brachte den Verkehr völlig zum Erliegen. Plötzlich tauchte ein rundlicher Polizist auf. Doch anstatt die Samba-Gruppe anzuweisen, auf den Gehweg auszuweichen - wie Ellen es erwartet hatte -, legte er eine Hand flach auf die Magengegend und begann, mit den Hüften zu kreisen.
Der Rhythmus war ansteckend, und die Musik schien direkt in die Beine zu gehen. Die Menge, die sich draußen versammelt hatte, wiegte sieh im Takt hin und her. Kinder trommelten rhythmisch auf die Dächer der parkenden Autos. Ellens Fuß wippte wie von selbst auf und ab, und Robertos Finger klopften im Takt auf den Tisch. Die Menschen lächelten sich gegenseitig an.
“Das ist ein magischer Augenblick”, sagte Ellen mit leuchtenden Augen.
Roberto ergriff ihre Hand. “So etwas gibt es eben nur in Rio.”
Sie nickte. Eigentlich hatte sie erwartet, daß er ihre Hand wieder loslassen würde, aber statt dessen schlossen sich seine Finger noch fester um ihre.
Ellen spürte, wie es in ihr kribbelte und prickelte. Vielleicht hatte der heißblütige, leichtlebige Geist der Stadt sie schon beeinflußt. Selbst eine Ferienromanze schien ihr nichts Unmögliches mehr zu sein. Warum warf sie nicht endlich alle Vorsicht über Bord? Sie war weit von zu Hause fort, auf einer einmaligen Reise nach Brasilien, außerdem war sie erwachsen und allein. Ein kleines romantisches Zwischenspiel würde ihr bestimmt nicht schaden, es könnte sogar etwas Glanz in ihr Liebesleben bringen, das im Moment ausgesprochen farblos war.
Bevor sie jedoch mit einer Liebesaffäre begann, mußte sie sich erst einmal nach dem passenden Partner umsehen. Jemand um die Dreißig, mit dichtem dunkelbraunen Haar, das ihm manchmal über die Augenbrauen fiel. Jemand der einen leichten dunklen Schatten um die Kinnpartie und ein bis zwei Rasuren am Tag nötig hatte. Ein Mann mit breiten Schultern und schmalen Hüften, der in bester körperlicher und geistiger Verfassung war. Er sollte intelligent, witzig und nicht leicht hereinzulegen sein. Jemand wie …
“Bravo!” rief eine Frau im Hintergrund.
Ellen schreckte aus ihren Gedanken hoch. Die Samba-Schüler hatten inzwischen mit einer noch lebhafteren Nummer begonnen, aber sie hatte nicht darauf geachtet. Sie hatte nur Roberto angesehen. Es waren seine Eigenschaften, die sie als notwendige Attribute eines möglichen Liebhabers für sich aufgezählt hatte. Die Caipirinha war ihr offenbar zu Kopf gestiegen. “Meine Kamera!” rief sie und zog hastig ihre Hand zurück, um ihre Kameratasche zu öffnen. “Dies ist die ideale Gelegenheit, Fotos zu machen.”
Ellen eilte nach draußen, wo sie zwischen den vielen Amateurfotografen begann, ihre Fotos zu schießen. Sie fotografierte Künstler und Zuschauer zusammen, aber auch einzelne Tänzer. Außerdem machte sie eine Nahaufnahme von einem Zylinderhut, der gerade von einem Kopf mit dunkel gelocktem Haar gezogen wurde. Als die Künstler sich zum Schluß der Vorstellung verbeugten, trat Ellen schnell einige Schritte zurück, um die ganze Gruppe ins Bild zu bekommen.
“Du scheinst erreicht zu haben, was du wolltest”, bemerkte Roberto, nachdem die Samba-Gruppe weitergezogen, war und Ellen sich wieder an den Tisch gesetzt hatte.
Sie nickte glücklich. “Wirklich eine gute Auswahl! Und die bunten Kostüme werden dem Ganzen noch einen besonderen Pfiff geben. Du sagtest übrigens, daß wir zu einem Kostümball gehen werden. Müssen wir uns dazu verkleiden?”
“Das kann man machen, wie man will. Entweder kommt man im Abendkleid oder im Abendanzug, oder man verkleidet sich so, daß es zum Thema des Abends paßt. In unserem Fall wären das die goldenen zwanziger Jahre. Doch ich glaube, daß das niemand so eng sieht und die meisten Leute sich nach Lust und Laune anziehen werden”, erwiderte Roberto.
“Warst du denn noch nie auf einem Karnevalsball?”
Er schüttelte den Kopf. “Nein, noch nie. Aber meine Freunde Marco und Nilson werden mit ihren Frauen auch dort sein. Das Fest wird gegen elf Uhr abends beginnen und vermutlich bis fünf Uhr morgens dauern. Vielleicht auch länger.”
“Puh!”
Roberto schmunzelte. “Ja, man muß dafür schon ein besonders gutes Durchhaltevermögen mitbringen. Es wird wahrscheinlich eines der aufwendigsten Feste werden. Das habe ich von Anna,
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