Kuess mich - es ist Karneval
kennengelernt?”
“Ja, das stimmt.” Ellen fühlte sich zutiefst beunruhigt. Zwar hatte sie sich schon gedacht, daß.Roberto versuchen würde, etwas über die Vergangenheit ihrer Mutter in Erfahrung zu bringen. Aber sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, daß er sich schon so bald und in aller Öffentlichkeit danach erkundigen würde. Verwirrt sah sie durch den Sucher ihrer Kamera. Sie wollte über ihre Mutter nicht jetzt und nicht auf offener Straße diskutieren. Bevor sie sich eingehend mit diesem Thema befaßten und Roberto es als Waffe gegen sie benutzen konnte, müßte sie sich sammeln, in Gedanken alle Möglichkeiten einer solchen Unterhaltung durchspiele n und vor allem kühl und beherrscht sein.
“Wie hat dir denn das Leben in Paris gefallen?” wollte Roberto wissen.
“Ich habe dort nie gelebt. Ich war in dieser Zeit bei meinen Großeltern in Kent,” Ellen versuchte, sich auf den Drachenverkäufer zu konzentrieren.
“Wie lange warst du denn bei ihnen?”
“Man hat mich zu ihnen gebracht, als ich achtzehn Monate alt war, und ich bin bis zu meinem zwölften Lebensjahr dort geblieben.”
“So lange?” Roberto war überrascht. “Conrado hat mir erzählt, daß Vivienne in diesen Jahren durch ihre Arbeit bedingt häufig nach Spanien, Griechenland und in den Nahen Osten habe fahren müssen.”
Ellens Magen rebellierte. Sie fühlte sich ganz krank. “Ja, hin und wieder.” Der Drachenverkäufer kam näher, und seine Gestalt erschien im Sucher ihrer Kamera immer größer und schärfer.
“Hat Vivienne dich denn manchmal auf ihre Reisen mitgenommen?”
Ellen war gerade dabei, den Auslöser zu betätigen, ließ die Kamera aber bei dieser Frage sinken. “Das wäre nicht passend gewesen.”
“Aber ihr beide hättet auf diese Weise die Chance gehabt, häufiger zusammenzusein. Es hätte fast wie gemeinsame Ferien sein können. Ich verstehe das nicht. Sicher hätte es niemandem geschadet, wenn du sie ab und zu auf ihren Reisen begleitet hättest.”
Ellen sah Roberto an. “Vielleicht. Aber sie hat mich nicht mitgenommen”, erwiderte sie etwas zu laut und machte hastig noch ein paar Fotos von dem alten Drachenverkäufer, der sich jedoch schon wieder entfernte.
Die Kamera war nicht richtig eingestellt, aber Ellen nahm keine Notiz davon. In ihrem Kopf war nur noch für einen Gedanken Platz: Roberto kannte die.Wahrheit nicht! Seine Unwissenheit war für sie ein Schock.
Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Sie war immer davon ausgegangen, daß Conrado seinem Sohn alles erzählt hätte. Aber es war ihm offenbar unmöglich gewesen. Doch wenn Roberto nichts über die wahren Hintergründe wußte, dann hatte er nicht den geringsten Grund, ihre Mutter zu verachten.
Nein, dachte Ellen, dann beziehen sich sein Ärger und seine Mißbilligung ausschließlich auf mich.
Ellen öffnete die große Tasche und verstaute ihre Kamera.
Wenn Conrado die ganzen Jahre über die Wahrheit
geheimgehalten hatte, so muß das sehr wichtig für ihn gewesen sein. Es muß ihm sehr am Herzen gelegen haben. Sie respektierte seine Wünsche, und das Andenken dieses Mannes, den sie so geliebt hatte, war ihr heilig. Deshalb würde auch sie jetzt schweigen.
4. KAPITEL
Ellen betrat den Innenhof des Autosalons, durchquerte ihn und blickte durch die großen Scheiben in den Ausstellungsraum.
Nach einem Tag, an dem ein schönes Erlebnis das andere abgelöst hatte, war sie zufällig auf etwas gestoßen, das alles andere in den Schatten stellte.
Auf seinem Weg zur Arbeit hatte Roberto sie heute morgen in der Innenstadt abgesetzt. Dort hatte sie erst die bunten Marktstände fotografiert, dann einen Jungen auf einem Skateboard, der sich an die hintere Stoßstange eines Lastwagens gehängt und auf diese Weise eine Freifahrt ergattert hatte.
Danach rief sie sich ein Taxi, das sie nach Santa Teresa brachte.
Dieses ruhige, romantische Viertel mit den verfallenen Villen im Kolonialstil und den verwinkelten Straßen, die noch das alte Kopfsteinpflaster hatten, erinnerte sehr an Lissabon. Es war ein Eldorado für Künstler und fotobesessene Touristen.
Als nächstes besuchte Ellen den Botanischen Garten. Er war 1808 angelegt worden und gehört zu den schönsten der Welt.
Sie schlenderte gemächlich durch die von mächtigen Palmen gesäumten Alleen und fotografierte die farbenprächtigen exotischen Pflanzen.
Als sie müde wurde, kehrte Ellen in die Wohnung zurück, die ohnehin ganz in der Nähe lag. Nachdem sie eine Kleinigkeit gegessen
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