Kuess mich - es ist Karneval
Tribüne tanzten, jäh unterbrochen. Frauen und Männer aller Altersgruppen trugen Grasröcke und Halsketten aus buntem Flitterzeug. Sie tanzten ohne Pause. Kleine Kinder sprangen, als Leopardenbabies verkleidet, herum und schlugen Purzelbäume.
Während sie wild mit den Füßen stampften und mit den Händen zum Rhythmus der Trommeln klatschten, spürte Ellen, wie sich der Kloß in ihrem Hals auflöste. Diese Begeisterung und Lebensfreude brachten ihre Gefühle in Wallung.
“Ich könnte diese Samba-Schulen die ganze Nacht durch sehen”, sagte sie begeistert.
“Die Show wird bis zum Morgengrauen dauern. Was aber, wenn ich bis dahin vor Hunger sterbe?” fragte Roberto lächelnd.
“Es ist bereits kurz vor Mitternacht.” Er zog die Augenbrauen hoch und warf ihr einen kläglichen Blick zu. “Und bin kurz davor, zu verhungern.”
Ellen entspannte sich. Roberto hatte heute zum ersten Mal gelächelt. Man hätte allerdings auch aus Stein sein müssen, um von der Heiterkeit des Karnevals nicht berührt zu werden.
“Ich wollte nur noch die eben zu Ende gegangene Vorführung sehen”, wandte sie lächelnd ein. “Wir können also sofort gehen.”
Während des Karnevals war es fast unmöglich, einen Parkplatz zu finden. Deshalb hatte Roberto den Wagen in der Garage eines Geschäftsgebäudes abgestellt, das einige Häuserblocks entfernt war.
“Senhor!” rief plötzlich eine Stimme.
Als sie die Straße entlangsah, bemerkte Ellen eine kleine rundliche dunkelhäutige Frau, die zwischen vielen Leuten herumhüpfte und wild winkte.
“Senhor de Sa Moreira!” rief die Frau.
Roberto lächelte und winkte zurück. “Das ist Teresa, die Frau, die sich um meine Wohnung kümmert”, erklärte er.
Teresa kam zu ihnen herüber.
“Erinnerst du dich, daß ich dir erzählt habe, eine ihrer Töchter sei bei den Tänzerinnen der ersten Samba-Schule?”
fragte Roberto Ellen.
Mit einem fröhlichen Wortschwall erreichte die Frau die beiden. Das meiste verstand Ellen. Teresa war glücklich, Herrn de Sä Moreira getroffen zu haben. Sie wollte wissen, ob er ihre Tochter unter den Tänzerinnen erkannt habe, und mit einem breiten Lächeln in Ellens Richtung fragte sie, ob dies die Besucherin sei, die in seinem Apartment Ferien mache.
Roberto antwortete freundlich auf Teresas Fragen. Doch als er bestätigte, daß Ellen sein Gast war, wurde seine Haltung förmlich und steif.
Teresa ergriff Ellens Hand und schüttelte sie kräftig. Sie hatte in gebrochenem Englisch gesprochen, doch jetzt fiel sie wieder in ihre Muttersprache zurück. Sie holte eine Kamera heraus und bestand darauf, ein Foto von beiden zu machen.
“Ich denke nicht…” begann Roberto einzuwenden, aber Teresa hörte gar nicht zu. Sie war nicht zu bremsen. Zuerst bestand sie darauf, daß Ellen und Roberto sich an den Händen hielten, dann sollten sie die Arme umeinanderlegen, und zum Schluß sollten sie sich küssen.
“Nao”, sagte Roberto. Er lächelte gehemmt und schüttelte den Kopf.
“Doch”, befahl Teresa: energisch. “Du ihr Mann, sie deine Frau. Jetzt küssen!”
Mit finsterer Miene wandte er sich Ellen zu. “Es hat keinen Sinn, ihr zu widersprechen”, sagte er resignierend und küßte sie.
Verglichen mit den Küssen jener Nacht, war dies ein ganz gewöhnlicher Kuß. Dennoch übte allein die Berührung seiner Lippen auf Ellen einen besonderen Zauber aus. Ihre Lippen zitterten, ihr Herz klopfte heftig, und ihre Knie wurden weich.
“Muito obrigada - danke”, sagte Teresa, um gleich darauf munter weiterzuplaudern. Sie erzählte Ellen, wie wundervoll und großzügig Roberto immer sei. Doch plötzlich bemerkte sie, daß ihre Freundinnen auf der anderen Straßenseite bereits unruhig wurden. Sie verabschiedete sich hastig und eilte davon.
Auch Ellen und Roberto gingen weiter. Auf dem Weg in die Tiefgarage spürte sie, wie es hinter ihrer Stirn pochte. “Teresa hat dich meinen Mann genannt, genau wie die Frau in dem Kleiderladen - und Anna und Leila”, erinnerte sie sich laut.
“Marco und Nilson dachten auch, wir seien ein Liebespaar”, bestätigte Roberto.
Ellens Miene verfinsterte sich. “Ich frage mich, weshalb alle auf diese unsinnige Idee kommen.”
“Das frage ich mich auch”, sagte er, und die Luft zwischen ihnen schien spannungsgeladen.
Roberto gab den Code für die Seitentür der Garage ein und tastete nach dem Lichtschalter. Doch die Beleuchtung war so schwach, daß sie kaum etwas sehen konnten.
Am Auto angelangt, ließ Roberto
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