Kuess mich - es ist Karneval
unwillkommener Gast, aber deshalb würde sie noch lange nicht zu einem Häufchen Elend zusammensinken.
“Stimmt es etwa nicht?” fragte sie.
Roberto seufzte laut. “Zum Teil”, gab er zu.
“Zum größten Teil”, verbesserte sie ihn. “Deine freundlichen Gefühle kamen leider nur kurz zum Vorschein, aber jetzt scheint es, als könntest du mich gar nicht schnell genug loswerden”, sagte Ellen mit zittriger Stimme. “Ich kann mich noch gut erinnern, wie du das letzte Mal in London sagtest, daß jedes weitere Treffen mit mir einmal zuviel wäre.”
“Ich habe die Beherrschung verloren und bin ein bißchen wütend geworden”, entschuldigte sich Roberto.
“Du bist mehr als nur ein bißchen wütend geworden”, stellte Ellen klar.
“Das kann sein. Ich war damals noch jung und habe auf eine schreckliche Situation reagiert”, er sah ihr in die Augen, “die du herbeigeführt hattest. Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie mein Vater sich gefühlt hat, nachdem du Vivienne dazu überredet hattest, ihn fallenzulassen? Als er in unser Hotel zurückkam, war er ein gebrochener Mann, der um zehn Jahre gealtert zu sein schien. Es hatte nach dem Tod meiner Mutter sehr lange gedauert, bis er sich wieder auf eine neue Beziehung einlassen konnte. Doch unter den Frauen, mit denen er sich traf, war nie die richtige gewesen, bis er Vivienne kennenlernte. Er hatte sich mit Leib und Seele in sie verliebt.”
“Ich weiß”, sagte Ellen, aber Roberto schien sie nicht zu hören.
“Nach all den traurigen Jahren schien für ihn ein neues Leben begonnen zu haben. Er lächelte und sang wieder. Ich habe meinen Vater noch nie so glücklich gesehen. Auf unserem Flug nach London sagte er mir, daß er Vivienne bitten wolle, seine Frau zu werden. Er malte sich die Ehe mit ihr in den schillerndsten Farben aus.” Roberto warf Ellen einen eisigen Blick zu. “Doch er hat Yolanda geheiratet.”
“Du gibst mir die Schuld daran?” sagte Ellen. Es war eher eine Feststellung als eine Frage.
“Conrado hätte unter normalen Umständen keinen Blick auf Yolanda geworfen, aber als er sie traf, war er niedergeschlagen und außer sich vor Sehmerz. Vivienne war die große Liebe seines Lebens …”
“Bedeutete sie ihm mehr als deine Mutter?” unterbrach ihn Ellen,
“Ich glaube es. Es war eine Liebe, wie sie einem nur einmal im Leben begegnet. Ich denke, daß Vivienne ihn ebenso geliebt hat. Sie waren wie geschaffen füreinander.” Roberto schlug mit der Faust auf den Tisch, so heftig, daß das Geschirr tanzte. “Sie hatten etwa das gleiche Alter und dieselben Interessen. Vivienne brachte ihn zum Lachen. Sie ist belesen, viel gereist und spricht viele Sprachen. Yolanda hat mühsam Englisch gelernt, aber nur weil Conrado darauf bestanden hatte. Ich habe sie noch niemals etwas außer Frauenmagazinen lesen sehen. Wenn man ein Land wie Bulgarien erwähnt, weiß sie nicht, wovon man spricht.”
Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. “Vivienne wäre allem gewachsen gewesen, egal ob es ein Grillfest mit Gonrados Freunden oder ein Empfangsessen im
Präsidentenpalast gewesen wäre. Yolanda dagegen”, Roberto lachte gehässig, “hat die Mentalität und die Einstellung einer Provinzlerin, obwohl sie aus Rio kommt.”
Ellen sah ihn über den Tisch hinweg an. Jetzt verstand sie, weshalb er ihr noch immer nicht verziehen hatte - zehn Jahre, nachdem die Beziehung zwischen seinem Vater und ihrer Mutter zu Ende gegangen war. Die unglückselige zweite Heirat seines Vaters hatte Roberto ständig an Ellens vermeintliche Selbstsucht erinnert und seine Feindseligkeit ihr gegenüber über die Jahre aufrechterhalten.
“Hast du Conrado nicht gesagt, daß du Yolanda nicht für eine gute Wahl hieltest?”
“Ich habe es versucht”, entgegnete Roberto unfreundlich.
“Aber mein Vater brauchte so dringend einen Menschen, der ihm half, über den Schmerz hinwegzukommen, jemanden, der ihm wieder etwas Hoffnung gab, daß er nicht auf mich hören wollte. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er einsehen mußte, daß er einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Schon nach wenigen Monaten mit Yolanda war er kurz davor, verrückt zu werden, und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. So kam er auf die Idee, Autos herzustellen.”
“Und er hat damit angefangen, ohne das Ganze genau durchdacht zu haben”, ergänzte Ellen.
“Ja. Conrado blieb deprimiert und niedergeschlagen. Er ist über den Verlust von Vivienne bis zu seinem Tod nicht
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