Küss mich, Sweetheart: Roman (German Edition)
Brise liebkoste ihre Haut und spielte in den weißen Haarlöckchen, die ihr Gesicht umrahmten. Sie konnte den vertrauten Ruf eines Kardinalmännchens hören, das sein Weibchen umwarb, das Rauschen des Windes, der sachte durch die Baumkronen strich, und sogar das ferne Pfeifen eines Zuges, und ließ sich von dieser Geräuschkulisse sanft umhüllen.
»Guten Morgen, Anna«, ließ sich eine Stimme in der Nähe vernehmen.
Anna merkte, dass sie offensichtlich leicht eingedöst war. Sie setzte sich auf, hielt eine Hand als Blendschutz über die Augen und blinzelte in das Sonnenlicht. Jemand stand auf dem Bürgersteig vor ihrem Haus. »Guten Morgen, Minerva, du bist aber früh auf den Beinen.«
»Ich musste einen speziellen Eilauftrag für einen Kunden auf den Weg bringen. Deshalb war ich ganz früh auf der Post, gleich als die Schalter öffneten«, erklärte Minerva Bagley, als handelte es sich um ihren einzigen Daseinsgrund.
»Läuft das Geschäft gut?«, erkundigte sich Anna höflich. Sie hielt rein gar nichts von den abenteuerlichen Teemischungen und der Schmuckauswahl, die Minerva verpackte und verkaufte, auch wenn es Leute in der Stadt gab, die darauf schworen.
Minerva presste die Hand auf die Brust, irgendwo oberhalb des Herzens, und brauchte einen Moment, ehe sie wieder zu Atem kam. »Um ehrlich zu sein, das Geschäft boomt.«
Die Leute haben einfach keinen Geschmack, dachte Anna bei sich.
Ganz offensichtlich schien Minerva außer ihrem Postauftrag noch etwas anderes loswerden zu wollen. »Hat Goldie dich heute Morgen schon angerufen?«
Annas Magen zog sich zusammen. Sie griff nach ihrem Gehstock, ohne eigentlich zu wissen, warum. Aber er vermittelte ihr irgendwie ein tröstliches Gefühl. »Ja, hat sie.«
Minervas Unterlippe krauste sich enttäuscht. »Dann hat sie dir ja wahrscheinlich schon von der Frau erzählt, die wir gestern im McGinty’s gesehen haben.«
»Sie sprach etwas von einer stinkvornehmen Blondine – das waren Goldies Worte, nicht meine -, die mit Samuel Law zu Abend aß.« Anna wünschte, das Rauschen in ihren Ohren würde aufhören. »Sie schien zu glauben, die junge Dame sei seine Exverlobte.«
»Ganz so ex vielleicht doch nicht. Wir kennen den augenblicklichen Stand ihrer Beziehung ja wirklich nicht.« Minerva wurde rot. »Ich meine damit natürlich nicht unbedingt ihre sexuelle Beziehung.« Minervas Wangen wurden jetzt noch einen Tick röter. »Im Übrigen ist das Sams ureigene Angelegenheit und geht uns wirklich nichts an«, kam sie stotternd zum Ende.
»Ich weiß, was du meintest, Minerva«, versicherte Anna ihr mit einem aufgesetzten, zu fröhlichen Lächeln. »Hättest du nicht Lust, mit mir eine Tasse Tee zu trinken? Ich wollte gerade eine frische Kanne aufbrühen.«
Ihre Besucherin strahlte. »Das kann ich doch für uns machen.«
Da die Kräutermischungen, die Minerva vermarktete – sie hatten so fantasievolle Namen wie Strahlender Himbeertag oder Tagtraum oder Süße Träume -, vermutlich im Morgengrauen an Kunden verschickt worden waren, die ganz wild darauf waren, bestand wohl keine Gefahr, das Angebot anzunehmen. »Das ist sehr freundlich von dir.«
Als sie beide eine Tasse traditionellen englischen Frühstückstee in der Hand hielten, wandten sie sich wieder dem Thema zu. »Ich habe herausbekommen, wie sie heißt«, verkündete Minerva überraschend.
Anna war froh, dass ihre Stimme wieder normal klang, als sie fragte: »Wer?«
»Die Frau, die gestern Abend mit Sam zu Abend gegessen hat.« Minerva rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum, offensichtlich hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, mit allem sofort herauszuplatzen, und der Verlockung, die Spannung weiter zu erhöhen und ihre Zuhörerin noch ein Weilchen auf die Folter zu spannen. »Sie ist niemand anderes als Jacob Charles’ Enkelin. Sie heißt Gillian.« Sie machte eine Pause. »Sie ist in Sams Haus eingezogen.«
Zwischen Annas Augenbrauen erschien eine steile Falte. »Das sieht ganz und gar nicht nach Samuel Law aus.«
Minerva beeilte sich zu erklären: »Sam ist in das Haus seiner Eltern zurückgezogen, da Joe und Judy ja immer noch in der Weltgeschichte herumgondeln.«
»Ich verstehe.«
Minerva schien ihre Worte sorgfältig zu wählen: »Gillian Charles ist eine bezaubernde Erscheinung. Sehr schick, sehr elegant und ziemlich hübsch.« Sie zögerte kurz und fügte dann hinzu: »Und sie hat ein reizendes Lachen.«
Anna wartete mit Absicht eine Weile, bevor sie fragte: »Hast du mit ihr
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