Küss mich, Sweetheart: Roman (German Edition)
sieben Kindern.«
Minerva warf ihr einen fragenden Blick zu. »Glaubten Sie der Wahrsagerin?«
»Nein.« Gillian schwieg einen Moment und dachte noch einmal darüber nach: »Vermutlich wollte ich ihr glauben. Allerdings nicht den Teil mit den sechs oder sieben Kindern. Ich fand immer, zwei oder drei Kinder seien perfekt.« Sie lachte, teils amüsiert, irgendwie aber auch bekümmert. »Glauben Sie mir, das wird nicht eintreffen, Miss Bagley. Ich habe ja noch nicht mal einen Hund.«
Minerva war optimistisch. »Sie haben noch jede Menge Zeit – für Kinder und für einen Hund und vielleicht sogar noch für ein, zwei Katzen. Sie sind jung. Sie haben das ganze Leben noch vor sich.«
Ohne dass Gillian es eigentlich wollte, gab sie weiter Persönliches preis. »Ich werde demnächst schon zweiunddreißig.«
»Wie ich schon sagte, Sie sind noch jung.«
Sie fühlte sich aber nicht jung; nicht mehr seit dem Tod ihres Großvaters. Sie hatte immer gewusst, dass sie eines Tages ganz auf sich alleine gestellt wäre. Das war die Realität, auf die sie sich als Einzelkind, das von seinen alternden Großeltern aufgezogen wurde und sonst keine anderen nahen Verwandten hatte, hatte einstellen müssen. Sie hatte allerdings nicht erwartet, dass sie sich, als der Zeitpunkt dann gekommen war, so alleine fühlen würde.
Gillian schüttelte die melancholischen Gedanken ab. »Bevor ich mit dieser Kinderschar beginne, brauche ich aber erst mal einen Ehemann, oder?«
»Heutzutage scheinen Frauen Familien mit oder ohne Ehemann zu gründen.«
»Das ist richtig, aber ich nicht«, erklärte Gillian.
»Wer weiß, vielleicht wohnt der Ehemann ja gleich nebenan«, schlug Minerva vor, offensichtlich bemüht, sie aufzumuntern.
Gillian konnte nicht widerstehen, ihre Gastgeberin daran zu erinnern, dass Samuel Law gleich nebenan wohnte.
Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf Minervas eher unattraktivem Gesicht aus und ließ es für einen Moment fast hübsch erscheinen. »Genau.« Sie wechselte abrupt das Thema und kehrte zum Ausgangspunkt ihres Gesprächs zurück. »Wie ich schon sagte, Handlesen und was es sonst noch alles an esoterischen – wie wir es heute nennen – Spielchen gab, waren in viktorianischer Zeit sehr populär.«
Gillian ging sofort auf den Themenwechsel ein. Sie inspizierte den antiken Elfenbeinkopf. »Was ist das für ein Stück?«
»Ein Phrenologie-Kopf.«
Gillian las einige der Wörter, die auf der Oberfläche eingeritzt waren, laut vor: »›Güte‹, ›Intuition‹, ›Patriotismus‹, ›Spiritualität‹, ›Intensität‹, ›Genialität‹, ›Trinksucht‹.«
Trinksucht?
Die Expertin des Hauses begann zu erklären: »Phrenologie war eine weitere Sparte der populären Pseudowissenschaften. Wie das Handlesen sollte es Aufschluss über die Persönlichkeit eines Menschen geben, Krankheiten diagnostizieren und die Zukunft vorhersagen, und das alles nur durch die Auswertung der Ausformungen – der Höcker und Vertiefungen, wenn man so will – des menschlichen Schädels.« Sie studierte Gillian mit forschenden Augen durch ihre Bifokalbrille. »Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie eine interessante Kopfform haben, Miss Charles?«
»Ich muss gestehen, nein.« Und dann fügte sie der Höflichkeit halber hinzu: »Bitte nennen Sie mich Gillian.«
Minerva Bagley gab zustimmend einen leisen, kehligen Summlaut von sich. »Ihren Schädel zu lesen könnte interessant sein, Gillian, und höchst aufschlussreich.«
Irgendwie schaffte sie es, ein aufsteigendes Lachen zu unterdrücken und die Unterhaltung fortzuführen. »Wie sind Sie zu dieser großen und erlesenen Sammlung gekommen?«
»Nun, ich sagte ja schon, es begann mit meinem Ururgroßvater. Aber eigentlich war es mein Onkel, der mich inspirierte. Durch ihn lernte ich das, was wir unsere ›Familienjuwelen‹ nennen, schätzen und bewahren.« Sie lachte in sich hinein. »Onkel Bert hatte einen abartigen Sinn für Humor. Jeder und alles interessierte ihn. Seine Neugier auf die Welt und ihre Kuriositäten war unersättlich.«
»Das ist eine wunderbare Gabe.«
»Er war ein wunderbarer Mann.« Minerva führte Gillian in den rückwärtigen Teil des Hauses und dort in eine große, helle, heitere Küche. Ihre Gastgeberin machte sich daran, eine Kanne Tee aufzubrühen, und erzählte währenddessen weiter: »Jeder in der Stadt wird Ihnen bestätigen, dass Bert Bagley seiner Zeit voraus war.«
»Dasselbe habe ich auch immer von meinem Großvater gedacht«,
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