Kuess mich toedlich
Wehr setzten. Nur Sarah war es niemals gelungen, ihn abzuwehren. Sie versagte, bis Pavel sie eines Abends am Handgelenk festhielt, während die anderen bereits gegangen waren. Es hatte sie viel Konzentration gekostet, ihre Gabe zu blockieren. Sie war müde und frustriert.
»Was ist los mit dir, Mädchen? Was ist dein Problem ?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich versuch’s doch .«
»Herrje. Hältst du mich für bescheuert? Du versuchst gar nichts. Du willst es nicht. Wenn ich raten würde, würde ich sagen, dass du gar nicht gewinnen willst, sondern nur hier bist, um dich darauf vorzubereiten, wie es sich anfühlt, wenn du dann endlich mal verlierst .« Pavels wütender Blick hatte sich in Sarah gebohrt. Er wusste es! Er wusste, dass sie nicht kämpfen wollte, dass sie nicht wirklich überleben wollte, so wie die anderen.
»Ich bin hier, weil ich mich nicht mehr schwach und hilflos fühlen will«, hatte sie damals zugegeben.
»Das reicht nicht. Du musst überleben wollen. Selbstverteidigung ist im Grunde eines: Seinem Überlebensinstinkt zu gehorchen und ihn zu benutzen .« Sarah hatte genickt. Das alles war ihr klar, doch Pavel wusste nicht, dass sie noch bis vor zwei Monaten ein Häufchen Elend gewesen war, das glaubte, den Verstand zu verlieren. Ein Teil von ihr hielt noch immer daran fest. »Komm erst wieder, wenn du wirklich überleben willst, Lara !«
Sie hatte genickt und ging dennoch wieder hin. Wo sonst sollte sie hin, wo sonst sollte sie lernen, ihren Überlebensinstinkt zu finden? Mit jedem neuen Versuch war es besser geworden, bis zu dem Tag, an dem Pavel sie angriff und Sarah sich wehrte. Alle Wut über das, was die Familie ihr angetan hatte und darüber, was mit Ben passiert war, brach aus ihr hervor und gab ihr die nötige Kraft, sich aus Pavels festem Griff zu winden und ihn mit ein paar gezielten Tritten, die sie mittlerweile bereits verinnerlicht hatte, auf den Boden zu befördern.
Keuchend kam er auf der Matte auf. »Na endlich. Siehst du, du kannst es, Lara. Ich wusste immer, dass es in dir steckt .«
Da hatte er mehr gewusst als sie. Seither hatte sich einiges geändert. Sarah war nicht mehr als Schatten durch die Gegend gezogen. Sie ignorierte die üblen Typen im Park und in der Bar nicht länger und gab auch den selbstzerstörerischen Neigungen nur noch in kleinen Dosen nach. Sie begann sich zu wehren. Die Blockade, die Ben ihr für ihre Gabe gezeigt hatte, war nicht länger ein fester Bestandteil jeder wachen Minute. Zusammen mit ihrer körperlichen Stärke erfuhr auch ihre Gabe eine neue Form der Kontrolle. Nach und nach gelang es ihr, die Menschen zu berühren und dabei nichts zu fühlen, wenn sie es so wollte. So, wie sie es schon während des Unterrichts bei Pavel getan hatte. Als sie das im Griff hatte, gelang es ihr sogar, jemanden zu berühren und bewusst von ihm etwas zu empfangen. Zuerst versuchte sie es bei Tarek, weil sie von ihm keine allzu schlimmen Strömungen vermutete. Sie behielt recht . Alles, was sie empfing, war seine Sorge um seine Familie, seine Angst um seine Zukunft und sein unangenehm starkes Mitleid mit der jungen Frau, die er als Kellnerin angestellt hatte – sie. Er wollte ihr auf die Beine helfen, was ihm ein gutes Gefühl verschaffte. Leider sah sie auch die Farbe seiner veränderten Gefühle. Anders konnte sie es nicht beschreiben. Das warme Violett ihr gegenüber wurde immer rötlicher und ohne sagen zu können, woher sie das vermochte, wusste sie, dass die Möglichkeit bestand, dass Tarek für sie ähnlich zu fühlen begann, wie sie es in Bens Innerem gesehen hatte. Das wollte Sarah nicht. Also versuchte sie, sich noch härter zu geben. Doch bei Tarek weckte es nur noch mehr den Wunsch, für sie da zu sein und sie zu beschützen. Seither steckte sie in einer Zwickmühle. Tarek hatte ihr die Chance auf ein neues Leben gegeben und dafür war sie ihm dankbar. Als Lara war er so was wie ihr einziger guter Freund. Doch als Sarah gab es keinen freien Platz mehr in ihrem gebrochenen Herzen. Da war schon jemand. Jemand, der tiefe Wurzeln in die verbrannte Erde ihres Herzens geschlagen hatte.
*
Kurz nach sechs. Ben stand immer noch vor der Bar. Irgendetwas hielt ihn zurück. Da drinnen würde sie nicht seine Sarah sein.
Da drinnen war sie Lara. Jemand anderes, jemand, den er nicht kannte. Als eine Truppe junger Kerle in die Bar ging, schloss er sich an und betrat zusammen mit ihnen die spärlich gefüllte Kneipe. Mit einem Blick hatte er
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