Kuess mich toedlich
Waffe immer noch fest in seiner rechten Hand im Schoß, bereit, jeden sofort zu erschießen, der sich Sarah näherte.
*
Sarah erwachte aus einem merkwürdigen Traum. Sie war in einer maroden Villa oder etwas Ähnlichem gefangen gewesen, zusammen mit Ben, der neben ihr auf dem nackten Parkett schlief.
Noch merkwürdigere Erinnerungsfetzen an schier unmögliche Vorfälle zogen vor ihrem geistigen Auge vorbei, bis ihr langsam dämmerte, dass all das wirklich passiert war. Sarah hatte tatsächlich in den Kopf eines Mörders und Schlächters geblickt. Was sie darin gesehen hatte, würde sie niemals wieder vergessen können, auch wenn sie sich nichts sehnlicher wünschte. Es war nicht das erste Mal, dass sie mit den Abgründen der menschlichen Seele konfrontiert worden war, aber das Böse in Michael übertraf alles, was sie je zuvor erleben musste. Bei der Erinnerung daran begann sie zu frösteln, ehe sie realisierte, dass es tatsächlich eiskalt war.
Sie blinzelte angestrengt und fand sich auf einem stinkenden Teppich wieder, in ein riesiges Hemd gekleidet. Ihre Beine steckten in Boxershorts und sie war in zwei Decken gehüllt worden, dennoch fror sie schrecklich. Als sie Ausschau nach ihren Kleidern hielt, entdeckte sie den schlafenden Ben neben sich, der nichts weiter als eine Jacke trug und gegen die Wand gelehnt hinter ihr saß, die Hand um eine Waffe geklemmt. Seine Hand! Seine linke Hand war bläulich geschwollen, einbandagiert und der Daumen steckte in einem merkwürdigen Rohrstück. Gestern erst hatte er sie gerettet, als er mit dieser Hand auf Michael eingeschlagen, sie getragen und ihr dabei geholfen hatte, sich zu waschen und anzuziehen. Scham stieg in ihr auf. Doch dann erinnerte sie sich, dass all das nicht passiert wäre, wäre Ben niemals in ihr Leben getreten.
Was sollte sie jetzt tun? Wäre es klug, von hier zu verschwinden? Sie wusste ja nicht einmal, wo sie sich befand. Oder sollte sie mehr über die Hintergründe dieser merkwürdigen Überwachung in Erfahrung bringen? Konnte sie Ben überhaupt trauen? Er hatte sie immerhin unter Einsatz seines Lebens gerettet. Doch zuvor war er gekommen, um sie auszuspionieren und hatte sich an sie herangemacht, sie sogar glauben lassen, er wäre in sie verliebt.
Wie viel davon war tatsächlich echt? Was konnte sie jemandem glauben, der offensichtlich davon lebte, andere auszuspionieren und zu belügen und ihnen wer weiß was anzutun?
Sarah war vollkommen durcheinander. Allein der Versuch, aufzustehen, scheiterte an ihrem labilen Zustand. Sie war schwach und ausgelaugt. Als Sarah nach ihren Schuhen suchte, denn ihre Kleidung war nicht auffindbar, weckte der Lärm Ben. Sofort hob er seine Waffe und ließ sie sinken, als er bemerkte, wer das Geräusch verursacht hatte. Sie tauschten einen vielsagenden Blick.
»Wie geht es dir heute Morgen ?« , wollte er wissen.
»Besser … Danke, für gestern.« Sie kam sich klein vor in seinen Sachen.
»Du hast mir ganz schön Angst gemacht. Ich dachte schon …«
»… dass sich mein Verstand für immer verabschiedet hat ?«
Ben sparte sich die Antwort darauf. Eine unausgesprochene Frage schwebte im Raum. Mit seinen grauen Augen flehte er geradezu, sie sollte sich ihm anvertrauen. Als sie nichts sagte, stemmte er sich hoch. »Schön, zu sehen, dass du dich erholt hast .«
Diese Reaktion überraschte sie. Sarah hatte eigentlich mit einem Verhör gerechnet. Vor allem, da jetzt klar war, dass Ben als Spion oder so etwas tätig war. Auch wenn ihr das Ganze völlig verrückt vorkam, war es nun mal so. »Wo sind wir hier ?« Sarah sah sich um. Sie lagen in der Ecke eines großen Raumes. Der Putz bröckelte von den Wänden, alles roch nach Moder und wirkte verstaubt. Kein schöner Ort zum Wachwerden. Außerdem war es kalt und feucht.
»In einem Waldstück ein paar Kilometer weit weg vom nächsten Dorf. Hier dürften wir erst einmal sicher sein. Ich gebe zu, das Kastell ist eine ziemliche Bruchbude, aber dafür eindeutig verlassen. Wir sollten vorerst bleiben und dafür sorgen, dass wir uns nicht eine Lungenentzündung holen. Ich werde heute Nachmittag in die nächste Stadt fahren, um das Allernötigste zu besorgen, was wir hier brauchen. Wenn du mir eine Liste mit allen Sachen machst, die du dringend benötigst, werde ich sie dir mitbringen .«
Er wollte von ihr eine Einkaufsliste? Eine Liste? Das waren doch keine Ferien. Ben wirkte auf einmal so distanziert und geschäftig. Allein, wie er sich vom Boden erhob, die
Weitere Kostenlose Bücher