Kuess mich toedlich
kam. Manche davon waren einfach zu benennen, wie Freude, Zufriedenheit, Zärtlichkeit, Ruhe, Frieden, Nähe und Liebe. Andere waren so komplex und widersprüchlich, dass es Sarah nicht gelang, ihnen eine Bedeutung oder einen Namen zuzuordnen. Sie waren zu persönlich. Intim. »Da ist etwas«, murmelte sie. »Aber noch undeutlich.«
Ben atmete langsam und gepresst aus. Sarah wusste nicht, was er machte, doch sie fühlte, dass ein unsichtbarer Knoten gelockert wurde. Plötzlich umspülten sie Emotionen, Bilder, Erinnerungen, Wünsche und Gedanken. Alles zusammen in einer chaotischen Welle. Es gehörte eindeutig zu Ben, war Ben. Hinter dieser einen Welle, die sie noch dabei war, zu entschlüsseln, spürte sie eine deutliche Wand, gegen die ihr Bewusstsein drang. Dahinter wollte er sie nicht haben. Dennoch verspürte sie das Verlangen, diese Mauer zu überwinden. Als sie es instinktiv versuchte, bemerkte Sarah sofort, dass ihr Bens Empfindungsstrom entglitt. Also ließ sie sich zurück in die Welle fallen, die daraufhin über ihr zusammenbrach. Anders konnte man es nicht beschreiben. Als seine Gefühle und unausgesprochenen Gedanken zusammenströmten, formten sich Bilder daraus, die deutlicher wurden, bis Sarah sie erkennen konnte.
Sie sah die Erscheinung eines nackten Frauenrückens in der Morgensonne, der beinahe schon überirdisch leuchtete. Rotes Haar, das geradezu übertrieben schön wirkte. Da wurde es ihr klar. Sie sah sich. Aber nicht etwa so, wie sie tatsächlich aussah, sondern so, wie Ben sie in seinem Inneren sah. Sie erinnerte sich an diesen Morgen. Als Ben neben ihr gelegen hatte, auf spezielle, intime Weise. Er teilte diese Erinnerung mit ihr. Freiwillig. Deutlich spürte sie Bens Hingabe und seine Wünsche. Der männliche Wunsch nach Lusterfüllung, zusammen mit dem sehr menschlichen Wunsch nach Unvergänglichkeit eines perfekten Moments. Sarah nahm das Echo seiner Gedanken wahr: Ich könnte sterben für sie. Sarah für immer …Sie gehört zu mir …
Selbst nach allem, was zwischen ihr und Ben geschehen war, hätte sie sich niemals vorstellen können, dass jemand solche Gedanken für sie hegen könnte. Das war völlig anders als die Gedankenfetzen anderer Menschen, die sie früher gezwungen war, zu fühlen. Diese Ströme waren barbarisch und drängend gewesen, wollten etwas, forderten etwas, wollten sie verletzen, beneideten sie oder hatten Absichten gegen ihren Willen. Doch Bens Gedanken und Gefühle für sie waren vollkommen anders. Sie machten ihr keine Angst. Sie waren schön und willkommen in ihrem Geist.
Endlich fühlte sich ihre Fähigkeit wie eine wahre Gabe an. Sarah brauchte eine Weile, bis sie ihre Sprache wiederfand. Seine Hand in ihrem Griff zitterte. »Ben, was ich da von dir empfange, was ich sehe … ist wundervoll.« Sarah schlug die Augen auf und blickte unvermittelt in Bens aufgewühlte Sturmaugen. Hinter diesen grauen Augen war alles, was sie gerade noch erlebt und in sich aufgenommen hatte, verborgen. Alles kam ihr so verändert vor. Als hätte jemand eine Lampe angeknipst. In ihr. Selbst jetzt war sie sich nicht sicher, was der Unterschied zwischen Verliebtheit und Liebe war, und dennoch wusste sie ohne Zweifel, dass sie von nun an Ben liebte, möglicherweise einfach, weil sie seine Liebe erfahren durfte oder weil der Rest von Zweifel durch diese wundersame Erfahrung verglühte. So war es. Sie liebte Ben. Doch sie sagte es ihm in diesem Moment nicht. Einfach, weil sie das Gefühl hatte, es nicht sagen zu müssen.
Ben zog sie auf seinen Schoß und küsste sie sehr sanft auf den Mund. »Es funktioniert also. Jetzt musst du nur noch lernen, es nicht über dich kommen zu lassen, wenn du es nicht willst .«
Sarah nickte und konnte kaum fassen, was da gerade vor sich ging. Sie lernte tatsächlich, ihre Gabe zu beherrschen, die sie ihr bisheriges Leben lang beherrscht hatte.
*
Den ganzen Tag noch und die halbe Nacht lang hatte Ben mit Sarah gearbeitet. Sarah war es am Ende gelungen, sich gegen seinen offenen Gefühlsstrom zu schützen, indem sie eine Wand vor ihrem geistigen Auge errichtete. Sobald diese Mauer stand, kam nichts mehr durch, was Ben auch aussendete, egal, wie er sie berührte. Doch der Effekt hielt nicht lange an. Dauerte die Berührung zu lange, brach ihre Blockade und Bens Strömung drängte mit einer Heftigkeit in Sarahs Geist, die sie in eine unvermittelte Migräneattacke beförderte. Dabei handelte es sich keineswegs um ein vorübergehendes Phänomen,
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