Küss mich, wenn Du kannst
die Männer vermuten. Wissen Sie, was die Frauen viel mehr interessiert?«
»Die Größe? He, ich bin fast eins achtundsiebzig...«
»Nein, nicht die Größe. Wie aus einer Statistik hervorgeht, schätzen die Frauen gepflegte Männer, Sauberkeit, ordentliche Kleidung...« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Und ganz besonders einen guten Haarschnitt.«
»Also hat Carole was gegen meine Frisur?«
Annabelle grinste breit. »Ist das nicht cool? Ein Haarschnitt lässt sich so mühelos ändern. Da haben Sie die Adresse eines erstklassigen Friseurs.« Sie schob eine Visitenkarte über den Tisch. »Alles andere an Ihnen ist okay, Ray. Also werden Sie dieses kleine Problem leicht lösen.«
Auf die Idee, er könnte abgelehnt werden, war er gar nicht gekommen. Jetzt erwachte sein Kampfgeist. Bevor sie das Kaffeehaus verließen, stimmte er, wenn auch etwas widerstrebend, einer neuen Frisur und einem zweiten Treffen mit Carole zu. Annabelle fand, sie machte ihre Sache immer besser. In Zukunft sollten weder ihre Mutter noch die Schwierigkeiten mit Heath Champion die Saat der Selbstverachtung in ihr Herz pflanzen.
Frohen Mutes betrat sie das Sienna‘s. Doch die Situation verschlechterte sich zusehends. Heath war noch nicht aufgetaucht, und die Harfenistin, die sie ihm präsentieren wollte, rief an und verkündete, sie habe sich ins Bein geschnitten und sei auf dem Weg zur Notaufnahme.
Kaum hatte sie ihr Handy zugeklappt, klingelte es schon wieder. »Der Flieger hat Verspätung«, teilte Heath ihr mit. »Jetzt sitze ich in der Abflughalle von O‘Hare fest. Aber ich glaube, das Gate wird sich bald öffnen.«
Sie erzählte ihm von der Harfenistin, die an der De-Paul-Universität studierte, und weil seine Stimme müde klang, schlug sie ihm vor, das Power-Matches-Date zu verschieben.
»Hört sich verlockend an«, antwortete er, »aber besser nicht. Von dieser Frau hält Portia sehr viel... Ah, jetzt geht das Gate auf. Allzu spät werde ich nicht aufkreuzen. Halten Sie inzwischen die Stellung.«
»Okay.«
Annabelle schwatzte mit dem Barkeeper, bis die Powers-Kandidatin eintraf, und riss die Augen auf.
Kein Wunder, dass Portia begeistert war. Noch nie hatte Annabelle eine schönere Frau erblickt...
Am nächsten Tag kehrte sie von ihrem halbjährlichen Morgenjogging zurück und sah Portia Powers auf ihrer Veranda stehen. Obwohl sie einander nie zuvor begegnet waren, erkannte Annabelle sie dank eines Fotos auf ihrer Website sofort. Erst als sie näher kam, merkte sie, dass dieselbe Frau an jenem Abend, als sie mit Barrie ins Sienna‘s gegangen war, vor dem Fenster des Lokals gewartet hatte. Diesmal trug Portia eine schwarze Seidenbluse eng um die schmale Taille gewickelt, eine Hose in Shocking Pink und Retro-Highheels aus schwarzem Lackleder. Ihr pechschwarzes Haar war erstklassig geschnitten, so dass es bei der kleinsten Kopfbewegung umherschwang, und ihr Teint makellos. Ihre Figur... Wahrscheinlich aß sie nur an Staatsfeiertagen.
»Erlauben Sie sich nie mehr so einen miesen Trick wie gestern Abend«, begann Portia, sobald die Sneakers der Hausherrin die Verandastufen erreichten. Sie strahlte jene elegante Schönheit aus, bei deren Anblick sich Annabelle immer ein bisschen pummelig fühlte - vor allem jetzt, in ihren formlosen Joggingshorts und dem verschwitzten orangegelben T-Shirt, dessen Aufschrift eine Firma für Heizungen und Klimaanlagen anpries.
»Vielen Dank, ich wünsche Ihnen auch einen guten Morgen.« Annabelle nahm den Hausschlüssel aus der Tasche ihrer Shorts, sperrte die Tür auf und ließ Portia den Vortritt.
Verächtlich taxierte die Besucherin den Empfangsraum und das Büro. »Wimmeln Sie nie wieder eine meiner Kandidatinnen ab, bevor Heath sie kennen gelernt hat.«
Annabelle schloss die Tür. »Leider haben Sie eine völlig ungeeignete Anwärterin ins Sienna‘s geschickt.«
»Das hätte er entscheiden müssen.« Fortias manikürter Fingernagel zeigte anklagend auf Annabelles schweißnasse Stirn. »Nicht Sie.«
Gelassen ignorierte Annabelle die Fingernagel-Pistole. »Sie wissen doch sicher, was er von Zeitverschwendung hält.«
»Leben Sie wirklich hinter dem Mond?« Ungeduldig warf Portia die Arme hoch. »Claudia Reeshman ist das Chicagoer Topmodel - bildschön, hochintelligent. Von dieser Frau träumen Millionen Männer.«
»Mag sein. Trotzdem scheint sie an ernsthaften emotionalen Schwierigkeiten zu leiden.« Ganz oben auf dieser Liste stand ein ziemlich offenkundiges Drogenproblem.
Weitere Kostenlose Bücher